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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Büro steht leer. Ich benutze es als Lager für Tapeten und Stoffmusterbücher. Wenn Sie einen Blick hineinwerfen möchten …«
    »Ja, gerne«, erwiderte Dana.
    Nickend holte Patricia die Schlüssel. Dana folgte ihr die lange Treppe nach oben, sah zu, wie sie die Tür aufsperrte. Licht drang durch das fächerförmige Lünettenfenster über dem Eingang, spiegelte sich in den Türknäufen aus Kristall wider. Musterbücher waren auf dem Fußboden und auf einer alten Bank in den Büroräumen gestapelt. Das Mobiliar war entfernt worden; Tisch- und Stuhlbeine hatten runde Spuren im Staub hinterlassen.
    Dana blickte sich um, konnte aber nichts entdecken, was an ihren Schwager erinnerte: Er hatte keinen Schreibtisch, keine einzige Schachtel, kein Blatt Papier hinterlassen, nichts, was Quinn die Gewissheit verschafft hätte, nach der sie suchte. Die Wände waren in einem cremigen Gelb gestrichen, der Kiefernboden sah abgenutzt aus. Vier hohe Fenster an der Längsseite des Hauses blickten auf die von Ahornbäumen gesäumte Main Street hinaus. Nichts wies darauf hin, dass irgendein Angehöriger ihrer Familie diesen leeren Raum jemals betreten hatte.
    Doch dann entdeckte sie es.
    Über jedes Fenster, so zart, als hätte die Natur selbst den Pinsel geführt, hatte Lily einen Blumenfries gemalt. Efeuranken kletterten die Wände empor, vermischten sich mit weißen Blüten aller Art: Freesien, Gänseblümchen, Orangenblüten, Lilien, Rosen, Kamelien, Päonien und weiße Veilchen.
    »Was ist?« Sam war Danas Blick gefolgt.
    »Die hat Lily gemalt«, sagte Patricia.
    »Ich weiß.« Mit klopfendem Herzen näherte sich Dana den Fenstern. Lilys Handschrift war unverkennbar: sie hatte eine ureigene Art, Blätter, Blüten, Stängel und Ranken zu malen.
    Dana hatte diesen charakteristischen Stil unzählige Male gesehen, auf Bildern, Geburtstagskarten und den Cottagewänden in Martha’s Vineyard. Die Weiß-Schattierungen deckten die gesamte Bandbreite zwischen Gelb- und Blautönen ab, gingen nahtlos und beinahe unsichtbar in die Wandfarbe über. Die Präsenz ihrer Schwester füllte den Raum.
    »Lily verbrachte hier viel Zeit«, sagte Patricia. »Sie hatte großes künstlerisches Talent. Ich versuchte, sie zu überreden, Wandfriese für mich und einige meiner Kundinnen zu malen, natürlich gegen Entgelt, aber sie lehnte ab, sagte, sie sei mit ihren Töchtern voll ausgelastet. Den Garten schien sie besonders zu lieben – wir wussten es alle zu schätzen, dass sie so viel Schönheit in diese Räume brachte. Wir hatten den Eindruck, dass Mark und sie sich sehr nahe standen. Es tut mir so Leid, was passiert ist.«
    »Danke.« Dana war sehr diskret. Sie brachte alles, was sie bewegte, in ihrer Arbeit zum Ausdruck: Freude, Wut, Neugierde, Unerklärliches, Trauer. Einen fremden Mensch um Auskünfte zu bitten, die vielleicht Aufschluss über ihre Familie geben konnten, lag ihr normalerweise völlig fern. Aber sie war hierher gekommen, um Quinn zu helfen. Sie spähte zu Sam hinüber, ihre Blicke trafen sich. Er gab ihr Kraft: Sie spürte die überwältigende Energie, die von ihm ausging, und holte tief Luft.
    »War irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte sie.
    »Nicht in Ordnung?«
    »Geschäftlich, meine ich. Wissen Sie, ob es vielleicht Probleme gab …« Sie verstummte, peinlich berührt und aus Angst, mit ihrer Frage zu viel preisgegeben zu haben.
    Patricia runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste. Er arbeitete an einem Bauprojekt im Mittleren Westen, wo er hin und wieder nach dem Rechten sehen musste. Dann kam Lily auf einen Sprung vorbei, um seine Post abzuholen und sich darüber auszulassen, wie sehr sie ihn vermisste.«
    »War er oft unterwegs?«
    »In letzter Zeit immer häufiger, hatte ich das Gefühl. Ich schrieb es seinem wachsenden Erfolg zu.«
    »Er war erfolgreich«, sagte Dana, was nicht als Frage gemeint war. Sie wusste von Lily, dass Mark und sie finanziell ausgesorgt hatten. Sie hatten Kapitalanlagen und Ersparnisse, Aktien und Obligationen.
    »Ja, das kann man wohl sagen. Nachdem sich das Sun Center so gut verkauft hatte, zog ich ihn damit auf, dass er Lily nun einen Mercedes und einen Nerzmantel kaufen müsse. Aber das war nicht ihre Art. Das Teuerste, was er sich zulegte, war dieses Boot«, meinte Patricia kopfschüttelnd. »Ich wünschte, er hätte es nicht gekauft.«
    »
Sundance.
So lautete der Name des Bootes«, sagte Dana, die Verbindung herstellend.
    »Und was war dieses Sun Center?«,

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