Schillerhoehe
was ihn überraschte. Er hatte damit gerechnet, dass sie nach dem Streit eine längere Auszeit brauchte. Jetzt war er froh, sie wieder als Mit arbeiterin zu haben und mit dem Fall nicht allein zu sein. Er gab ihr die Hand und lächelte ihr so freundlich er konnte zu. »Na, alles wieder im Lot?«
Melanie Förster zuckte mit den Schultern. »Mal sehen, wies heute so wird.« Sie versuchte, das Lächeln zu erwidern. »Vielleicht sollte ich nicht so viel um mich selbst kreisen.«
Struve atmete erleichtert auf. »Vergessen wir ges tern, oder?«
»Also, an mir solls nicht scheitern.«
Wenig später betraten sie das Zimmer. Die Tote lag mit einem Leinentuch bedeckt auf dem Bett. Die Spu rensicherung war bereits tätig. Struve betrachtete die Kulisse. Überall lagen Packungen mit Medikamenten herum. Nach all dem, was Erika Scharf erlebt hatte, hielt er einen Suizid für möglich. Er musste die Obduk tion abwarten.
»Ich nehme an, Sie wissen noch nicht, dass Herr Scharf eine Geliebte hatte«, sagte er zu Melanie Förster.
»Ach ja?«
»Die Kollegen in Berlin haben herausgefunden, dass die beiden Eheleute in der vergangenen Woche heftig darüber gestritten haben.«
»Das ergibt ein Motiv für Frau Scharf als Mörderin ihres Mannes«, sagte Melanie Förster, die sich die Schach teln mit den Medikamenten aufmerksam anschaute. »Aber wenn dies ein Mord ist, könnte diese zweite Tat auch ein Ablenkungsmanöver des ersten Mörders gewe sen sein – dann sind wir so schlau wie vorher. Möglich ist auch, dass ein zweiter Täter am Werk war, quasi als Trittbrettfahrer.«
Peter Struve holte seinen Block hervor. »Richtig.« Er notierte sich etwas. »Gehen wir mal davon aus, dass es einen Täter gibt, der beide aus dem Weg räumen wollte.«
Melanie Förster holte sich ein Kaugummi aus ihrer Handtasche. »Warum sollte er beide umbringen wol len? Möchten Sie auch einen?«
Struve nahm den Spearmint. »Danke. Abgesehen von dem Eifersuchtsdrama ist die Nachlassfrage der Scharf unser einziger Anhaltspunkt. Übrigens war Dollinger gestern Abend mit Erika Scharf essen.«
»Tatsächlich? Dann hat er sie vielleicht … Natürlich: Er wollte ja schon vorher den Nachlass, Dietmar Scharf stand ihm im Weg – nach dessen Tod kann er das lite rarische Erbe einfacher haben. Deshalb ist er auch mit ihr essen gegangen. Eine ausgezeichnete Chance, einen Mord vorzubereiten.«
Peter Struve nickte ihr wohlwollend zu. »Auf jeden Fall war er einer der Letzten, die mit ihr gesprochen haben. Wir sollten dem Herrn Institutsleiter einen klei nen Besuch abstatten.«
Sie verließen das Hotel, um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Sven Dollinger öffnete rasch, er hatte eine Lesebrille aufgesetzt und wirkte erstaunt. »Nanu, was verschafft mir die Ehre? Ich hoffe, Sie wollen mir keine Handschellen anlegen, hahaha.«
Genau dazu hätte Peter Struve Lust gehabt. Er mochte Dollingers altbackene Art und sein autoritärkonservatives Gehabe nicht. Aber er hatte natürlich noch keine Beweise, die für einen Haftbefehl ausreich ten.
»Frau Scharf ist heute Morgen tot in ihrem Hotel zimmer aufgefunden worden«, erklärte er. »Darf ich übrigens vorstellen, meine Kollegin, Frau Förster. Wir würden uns gerne mit Ihnen unterhalten, Herr Dol linger.«
»Erika Scharf tot? Aber das ist ja furchtbar«, stam melte der Mann mit versteinerter Miene. »Wir hat ten gestern«, er rang nach Worten, »einen amüsanten Abend.«
Der Direktor führte die ungebetenen Gäste in seine stilvoll eingerichtete Wohnung. Unmengen von Büchern besetzten edle MahagoniRegale. Struve mochte solche Zimmer, in denen die Belesenheit ins Auge sprang. Er hielt das Ausstellen von Büchern nicht für intellektuelle Angeberei, auch wenn Marie da ande rer Meinung war und stets betonte, in der Wohnstube müsse es leicht und unprätentiös zugehen, außerdem dürfe man sich von Gedrucktem nicht erschlagen las sen.
Dollinger erzählte freimütig vom vergangenen Abend mit der Autorin. Struve notierte sich die Aus sage. Sie stimmte mit den Angaben der Kollegen vom Streifendienst überein.
»Haben Sie Erika Scharf gefragt, ob sie den Abend noch etwas verlängern wollte? Sie scheinen es ja ganz gemütlich zu haben.«
Dollingers Blick verfinsterte sich. Er schien zu begrei fen, dass er möglicherweise nicht nur als Zeuge, son dern als Verdächtiger vernommen wurde.
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