Schillerhoehe
verabredet, trafen sich Siegfried Derwitzer und Luca Santos an diesem Sonntag erneut. Sie saßen am frühen Nachmittag im Biergarten am Marbacher Neckarufer. Es war heiß, aber die hohen Bäume spen deten ihnen Schatten. Luca war gespannt, was ihnen der Kollege aus dem Deutschen Literaturarchiv über Franz Schäufele erzählen würde. Sie brauchten nicht lange zu warten. Ein älterer, aber immer noch ziem lich drahtig wirkender Mann näherte sich ihrem Tisch. Er mochte 60 Jahre alt sein, er wirkte auf Santos aber durch seine sportliche Figur und sein Outfit mit Jeans und TShirt jünger. Siegfried Derwitzer machte die bei den Männer miteinander bekannt. Wie bereits zuvor am Telefon, erklärte Derwitzer dem Mann namens Gün ter Köchler, dass Schäufele im Verdacht stehe, wichtige Daten aus dem Institut an Unbefugte weitergegeben zu haben und der Journalist Santos diesem Fall nachgehen würde. Dazu bräuchte er aber Hintergrundwissen, vor allem über die Zuverlässigkeit des Mannes.
»Du brauchst keine Angst zu haben, Günter, wir sagen niemandem, dass wir mit dir geredet haben«, ver sicherte Derwitzer gleich zu Beginn.
Offenbar duzt er jeden, dachte Luca Santos. Er musste unweigerlich schmunzeln, was Köchler wohl als freundliches Lächeln auffasste, denn er blickte mit einer natürlichen Freundlichkeit zurück.
»Nein, Angst habe ich gar nicht, sonst würde ich mich nicht mit euch treffen und auch nichts erzählen«, erwiderte Köchler ein wenig trotzig. Wie sich später herausstellte, hatte er in derselben Abteilung wie Schäu fele gearbeitet. Weil er sich um seine pflegebedürftige Mutter kümmern wollte, war er aber vor zwei Jahren in Frühpension gegangen. Ins Literaturarchiv ging er noch manchmal, um mit den ehemaligen Kollegen zu plauschen.
»Was hat der Schäufele denn auf dem Kerbholz?«
»Wir dürfen dir nichts verraten«, bedauerte Der witzer. »Du könntest sonst auch in Schwierigkeiten geraten.«
»Aha, aha.« Köchlers Neugierde war geweckt. »Tja, müssen ja weltbewegende Dinge sein. Na, zum Glück bin ich schon zwei Jahre draußen. Was wollt ihr denn wissen?«
Jetzt schaltete sich Santos ein. »Wir interessieren uns dafür, wie Franz Schäufele im Kollegenkreis so zurecht kam. Ist er zu Ihrer Zeit beliebt gewesen?«
»Beliebt? Ein Säckel war er, entschuldigen Sie den Ausdruck, aber er war echt ein granatenmäßiges Kol legenschwein.« Köchlers Miene hatte sich verfins tert. Siegfried Derwitzer ging zur Theke, um das Bier zu holen, das zu einem flüssigen Gedankenaustausch beitragen sollte. Luca blickte seinen Gesprächspartner erwartungsvoll an.
Der lehnte sich zurück und begann zu erzählen: »Schäufele kam gleich nach der Wende aus dem Osten, das war 1990, er hieß damals noch Tietze.« Köchler hus tete leicht, fing sich aber sofort. »Dann hat er unsere Maja Schäufele geheiratet, eine Kollegin, sehr beliebt, hübsch. Was die an ihm gefunden hat, weiß ich nicht, Schäufele war 20 Jahre älter. Gut, er wirkte ziemlich drahtig, aber wir haben uns alle ganz schön gewundert – nun, die Sache ging schon nach einem Jahr in die Brü che, warum, wissen wir ebenfalls nicht. Die Maja hat in ein anderes Archiv nach Wolfenbüttel gewechselt. Wir haben nie wieder etwas von ihr gehört. Seitdem hat Schäufele eigentlich alle um ihn herum mit seiner launischen Art schikaniert.«
»Wie hat er sich denn konkret verhalten?«, wollte Santos wissen.
»Ach, er hat alles Mögliche angestellt. Ersparen Sie mir die Einzelheiten. Es war einfach unangenehm, mit ihm zu tun zu haben. Das haben alle gesagt. Von ihm ging etwas Zynisches aus, er machte seine Witzchen, man hat vielleicht mal mitgelacht, aber irgendwie hat man gemerkt, dass er nicht zufrieden war. Das hat uns allen zu schaffen gemacht.«
Siegfried Derwitzer brachte das Bier. »Na, Ihr schaut aber ernst drein. Trinkt erst mal einen Schluck. Prost!«
Sie ließen sich das Bier schmecken. Luca war es recht, denn er wollte nicht alle Details des zerrütteten Kol legenverhältnisses kennen. Ihn interessierte viel mehr, etwas über Schäufeles Vergangenheit in der DDR zu erfahren.
»Ich weiß nicht, er hat uns wenig erzählt«, bedau erte Köhler. »Ich glaube, er hatte das ganz einfach abge hakt.«
»Wie erklären Sie sich seine Schweigsamkeit?«, fragte Santos.
»Ach, wir waren ja alle rücksichtsvoll und wollten bloß nicht in die WessiOssiKerbe
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