Schillerhoehe
ander, ihr Sex ähnelte einem Kampf. Sie bissen sich, zerkratzten sich die Haut, bluteten. Eine Extase ohne Tiefe, ein Fühlen ohne Gefühl. Vielleicht ließ sie sich noch auf ihn ein, weil ihr die beiden Morde zugesetzt hatten. Möglich, dass sie sich einfach müde fühlte und Schutz suchte. Riekers selbstgerechte Art widerte sie an, das wusste sie. Trotzdem war sie mit ihm ins Bett gegangen. Sie musste verrückt sein. Sie kam sich abge dreht vor, wie damals, als sie sich jahrelang im Stutt garter Bohnenviertel den Kapitalstock für ihre Hotel beteiligung erliebt hatte. Einmal mehr die Beine breit machen für eine Absicherung gegen die Unbilden des Schicksals – für Gianna kein großes Opfer. Rieker würde schon von ihr ablassen, wenn er sich wieder sicherer fühlte.
Der Bürgermeister pumpte wie ein Ochse, in sei nem Eros einem liegestützenmotorisierten Rasenmä her gleich, und schon bald hatte die peinliche Nummer ihren plötzlichen Zenit überschritten. Ausgelaugt lag der Liebhaber im Bett, während sie sich schon wieder anzog. Rieker sinnierte bereits über mögliche Redewendungen, mit denen er Zorn die Aussöhnung mit Stein horst nachher in der Redaktion des Kuriers rhetorisch verbrämen könnte. ›Nur gemeinsam sind wir stark‹, favorisierte er. Oder: ›Vergeben fällt denen leicht, für die Großzügigkeit auch sonst kein Fremdwort ist.‹ Na ja, vielleicht etwas dick aufgetragen, überlegte der Bür germeister, zumal er kleine Brötchen backen musste. Er würde das Reden vor allem Steinhorst überlassen, der sich bestimmt weniger peinlich in Szene setzen könnte. Er selbst würde sich entschuldigen und darauf anspie len, dass er vorher einen über den Durst getrunken habe und außerdem dringend urlaubsreif sei.
Zur selben Zeit blickte Utz Selldorf auf seine Tank nadel. Er brauchte für seinen Weg nach Frankfurt unbedingt Sprit. Erleichtert sah er das Schild, das ihn zur Rast stätte Hockenheim leitete. Selldorf konnte nachvollzie hen, dass er aus Sicht der Polizei durchaus zum Kreis der Verdächtigen zählte. Hoffentlich konnte sich der Portier des ArtHotels noch daran erinnern, dass er bis in die tiefe Nacht hinein mit ihm Schach gespielt hatte. Es käme auf den genauen Todeszeitpunkt von Erika Scharf an. Nachdem er getankt hatte, parkte er vor der Raststätte. Er musste heute noch Kontakt mit diesem Rieker aufnehmen. Selldorf rechnete fest damit, dass ihm der Bürgermeister die Handschrift zu Wilhelm Tell beschaffen würde. Schillers Dramen wurden auf dem freien Markt hoch gehandelt. Und im 250. Geburts jahr des Dichters waren die Preise erneut gestiegen, wie die kürzlich abgewickelte Versteigerung eines in Südamerika aufgetauchten Fragments von Kabale und Liebe bei Sothebys gezeigt hatte. Auf dem Weg vom Herrenklo streifte sein Blick die Damentoilette. Ihm fiel Gianna ein, diese dumme Kuh, die wohl darauf hoffte, durch die Erpressung an genügend Knete für ihre Kulturbühne zu kommen. Das Geld würde aber nur für ihn reichen, war sich Selldorf sicher. Er löste an der Bar seinen Toilettenbon ein und bestellte sich einen Espresso. Natürlich würde es nicht einfach wer den, diese Hotelglucke mit einem Trinkgeld abzuspei sen. Er würde ihr erklären, dass er von seinem Hehler weniger als vereinbart bekommen hätte und es klüger sei, Rieker nicht bis zum letzten Tropfen zu melken, damit er nicht bei der Polizei petzte.
Zwei Männer in grünen Strampelanzügen standen plötzlich hinter ihm.
»Sind Sie Utz Selldorf?«, fragte einer der Polizisten.
»Ja, was gibts denn?«
»Wir müssen Sie bitten, uns zu Ihrem Wagen zu füh ren. Sie stehen in Verdacht, einen schweren Diebstahl begangen zu haben.«
Sie durchsuchten ihn nach Waffen und brachten ihn nach draußen. Dort hatten bereits weitere Polizisten mit ihren Fahrzeugen seinen Mercedes zugeparkt.
»Geben Sie mir bitte Ihren Autoschlüssel«, wies ihn der Polizist an.
Selldorf rückte mit jovialer Geste den Schlüssel her aus. »Aber nichts kaputt machen, ja?«
»Klar doch, Ehrensache«, versprach der andere Poli zist mit schelmischem Blick.
Er öffnete den Koffer, in dem Rieker die TellHand schrift deponiert hatte. Wenig später musste Selldorf verblüfft mitansehen, wie das in Plastik verpackte Schriftstück aus seinem Koffer genommen wurde.
»Ich muss Sie bitten, uns nach Stuttgart ins Landes kriminalamt zu begleiten«, wies ihn der Polizist
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