Schimmer (German Edition)
dass ich jetzt erst komme, würde er mich fertigmachen. Mr Fish, am besten bleibst du hier bei deiner Schwester und ich sorge dafür, dass die anderen euch ruckizucki was zu essen bringen.« Fish nickte nur, ohne mich aus den Augen zu lassen. Lill zog Lester zurück ins Lokal; Bobbi und Will junior folgten ihnen. Will warf einen langen, besorgten Blick über seine Schulter, offenbar ließ er mich nicht gern allein. Ich schaute mich nach Samson um.
»Wo ist …?«, setzte ich an.
»Was weiß ich«, sagte Fish und zuckte die Achseln. »Du kennst doch Samson. Der taucht schon wieder auf.« Fish schob die leeren Getränkedosen beiseite und fegte ein paar Krümel weg, dann setzte er sich direkt vor mir auf den Couchtisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Geduld war kurz vorm Zerreißen. »Schieß los.«
Fish wollte den ganzen Hokuspokus meines Schimmers wissen. Er wollte Einzelheiten. Und zwar sofort.
Um nicht in das grimmige Gesicht meines Bruders schauen zu müssen, starrte ich auf die undeutlichen Bilder in dem kleinen Fernseher; der Empfang war so schlecht, als wollte man durch Kohlensäureblasen hindurch fernsehen; der Ton war zu leise. Der Bericht über die Stromausfälle war zu Ende, der Nachrichtensprecher drehte sich hinter seinem Tisch in eine neue, noch dramatischere Position und guckte doppelt ernst. Über den unteren Bildschirmrand marschierte jetzt eine wacklige Telefonnummer, während der Nachrichtensprecher stumm die Lippen bewegte.
Ich wusste nicht recht, was ich Fish erzählen sollte. Ich war mir mit meinem Schimmer so sicher gewesen. Wäre ich nicht überzeugt gewesen, dass ich Poppa wieder nach Hause bringen konnte, zurück nach Kansaska-Nebransas, säßen wir in diesem Moment nicht im Lagerraum der Fernfahrer-Raststätte. Aber jetzt war es so klar wie Mommas Bloß-nicht-anfassen-Kristall, dass mein Schimmer etwas anderes mit mir vorhatte, und bei dem Gedanken, meinem Bruder davon erzählen zu müssen, war mir miserabel und mutlos zumute.
»Es ist die Tinte, Fish«, sagte ich schließlich und schaute immer noch lieber zu dem Schwarzweißschnee der Nachrichten als meinem Bruder in die Augen.
»Was für eine Tinte, Mibs?«, sagte Fish.
»Egal, glaub ich, sie braucht bloß bei jemandem auf der Haut zu sein.«
Fish schaute mich von der Seite an. »Weiter.«
Ich wusste nicht, wie ich es erklären sollte. Ich wollte nicht in meinem Kopf nach den richtigen Worten graben und dann versuchen sie wie Puzzleteile in die richtigen Sätze einzufügen. Es war zu anstrengend. Ich war müde und hungrig. Und jetzt, da ich wusste, dass es nichts, nichts, nichts gab, womit ich Poppa helfen konnte, wollte ich nur noch nach Hause. Nach Hause zu Opa Bomba und Gypsy. Zu dem Matsch, den Fishs Regen hinterlassen hatte. Ich wollte zum Hausunterricht, wollte in Einmachgläsern Moos züchten und lernen, wie ich mit diesem Schimmer umgehen und ihm seinen Platz zuweisen konnte.
»Erzähl es mir, Mibs«, verlangte Fish. Ich wandte den Blick von dem kleinen Fernseher, wo ein Reporter einen Mann und eine Frau interviewte, die durch die Grieselgraupeln eine leichte Ähnlichkeit mit Pastor Meeks und Miss Rosemary hatten. Ich schaute meinem Bruder in die Augen und seufzte wieder.
»Vielleicht ist es am einfachsten, wenn ich es dir zeige.« Ich holte den silbernen Stift, den Will junior mir zum Geburtstag geschenkt hatte, aus der Rocktasche. »Streck die Hand aus und denk an eine Zahl – irgendeine Zahl. Aber nimm eine schwierige.«
Fish zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. »Was hast du vor, Mibs?«
»Es ist kein Hurrikan, Fish«, sagte ich ungeduldig. »Und kein Dynamit. Vertrau mir.« Steif streckte Fish mir die Hand entgegen, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Ich merkte, dass er wütend auf mich war – die Haare flogen mir aus dem Gesicht und die Zeitungen an der Tür raschelten und flatterten. Ich berührte Fishs Handfläche mit der Spitze des Stifts, dann hielt ich inne.
»Denkst du an eine Zahl?«, fragte ich streng. »Ich will nichts anderes hören, nur eine Zahl.« Das Letzte, was ich hören wollte, war das, was im Kopf meines Bruders vor sich ging. Ich schauderte. Igitt.
Fish kniff wieder die Augen zusammen und nickte, kurz und schroff. »Ich hab eine Zahl.«
»Dann denk einfach die ganze Zeit daran«, sagte ich und malte mit dem Stift schnell einen kleinen Kreis mit den Augen und dem Mund eines
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