Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
fünfzehn gewesen sein, also in einem Alter, in dem man ideell motivierte Pläne macht, die man später auf jeden Fall wieder verwirft, um sich dann auf die emotionaleren Pläne zu besinnen, die man mit zwölf gemacht hat.
Ich muss gar nicht warten, sondern kriege sofort eine Tram. Die Sporttasche stelle ich auf das Lederpolster neben mich und lege den Arm um sie. Ich habe nicht vor, sie im Laufe der Fahrt auch nur ein einziges Mal loszulassen. Aufgrund einer roten Ampel sehe ich die rostfarbene Limousine mit den drei Jungs auf der Rückbank ein weiteres Mal. Im Vorüberfahren versuche ich in den Innenraum zu blicken, doch ich kann gar nichts erkennen, und als die Ampel auf Grün springt, fährt die Limousine davon. Meine Tram verlässt langsam den Schatten der Häuserzeile und biegt in das Sonnenlicht der Hauptstraße ein. Vor den Cafés sitzen Urlauber, deren schlichte Frühjahrsgarderobe von hohen Eisbechern und vereinzelten Cocktails verdeckt wird.
Am Bahnhofsschalter erkläre ich, dass ich für meine Reise kein konkretes Ziel habe, aber mich zunächst auf eine Zugfahrt freue. Ich klinge pathetisch aufgeladen, wie ein später Jugendlicher, der normalerweise wenig spricht, sich aber in diesem Augenblick sehr wichtig nimmt. Um konkreter zu werden, sage ich: »Im Grunde suche ich nach einem Freund, der weggefahren ist, aber ich weiß nicht, wohin.« Mir ist das alles enorm unangenehm, aber der junge Mann am Schalter scheint großes Verständnis zu haben, er macht mir verschiedene Angebote für Zugtickets mit optionalen Ausstiegen. Ich erwerbe ein Ticket in Richtung Nordwesten, es ist ein Ticket für den CC.MetroExpress, Buchungskategorie A, ich gebe sogar etwas Trinkgeld. Zuletzt blitzt ein strahlendes Lächeln aus dem Gesicht des Ticketverkäufers. Er wünscht eine tolle Fahrt, ich lächle auch und bedanke mich sehr.
15 ↵
Der Zug steht bereit. Als ich einsteige, sind noch einige Plätze frei, aber in den darauffolgenden Minuten wird es rapide voll. Mein Fenstersitz erscheint mir merkwürdig optimal, komfortabler und heller als alle anderen Sitze. Da er sehr groß ist, fühle ich mich wie ein kleiner Junge, der mit seinen Füßen kaum das helle Kunstholzparkett erreicht. Aber das ist bloß so ein warmes Gefühl, das wahrscheinlich nur aufkommt, weil ich erst vor einer halben Stunde schluchzen musste. Die Nachmittagssonne fällt schräg in die Bahnhofshalle und ich kann mir gut vorstellen, wie es aussehen würde, wenn all diese Menschen da draußen nun im Zeitraffer an den Gleisen entlanggingen, während das Licht immer röter würde und die Schatten wanderten. Genau genommen habe ich das sogar schon einmal gesehen, nämlich in einem Werbeclip für den Bahnhof, der vor einigen Monaten den Nachrichtenvideos auf CobyCountySpotlights vorangestellt war. Ich habe ihn damals kitschig und doof gefunden, und ich konnte auch nicht nachvollziehen, weshalb unser Bahnhof eine solche Kampagne nötig haben soll. Einmal wollte ich mit Wesley über diese Kampagne sprechen, daran erinnere ich mich, aber dann habe ich den Faden verloren, und später kamen wir nie mehr auf das Thema zurück.
Durch die Lautsprecher unter den Gepäckablagen grüßt der Schaffner in vier verschiedenen Sprachen, es macht Spaß, ihm zuzuhören, da er alle vier Sprachen akzentfrei beherrscht. Der Zug ist nahezu ausverkauft, das Personal scheint hochzufrieden zu sein, es werden sofort Snacks angeboten: kleine Packungen mit gerösteten Nüssen, Schokoladenriegel sowie Weingummi. Ich decke mich für die ersten Fahrtstunden ein, ziehe meinen Laptop aus der Sporttasche und beginne zu tippen:
Ich glaube nicht, dass ich echte Erinnerungen an meine Zeit im Kindergarten habe. Die Bilder, die aufflackern, wenn ich nach Kindergartenerinnerungen suche, sind in das verwaschene warme Licht getaucht, das ich sonst nur von Werbeplakaten kenne. Vielleicht ist es ja so, dass sich auch andere Leute in diesem Licht an frühe Glücksmomente erinnern und dass deshalb mit diesem Licht geworben wird, oder es ist so, dass ich eben gar keine eigentlichen Erinnerungen an diese Zeit habe, sondern nur diese Plakate kenne. Manchmal fahre ich mit dem Fahrrad an meinem ehemaligen Kindergarten vorbei. Daher weiß ich, dass es sich um einen hellblau angestrichenen Bungalow mit Strandblick handelt, eingefasst von einer Rasenfläche, die stets so frisch gemäht aussieht, dass es fast Kunstrasen sein könnte. Die gut gelaunten Frauen und Männer, die auf meinen inneren Plakatwänden
Weitere Kostenlose Bücher