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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Randt
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verschwiege er mir dieses Ziel, aber ich fragte nicht nach. Letztendlich ist dann ja auch Wesley wie erwartet an die School of Arts and Economics gegangen, nur glaube ich, dass es bei ihm ein paar Momente gab, in denen er, Mentholzigaretten rauchend, ernsthaft an dieser gemeinsamen Zukunftsperspektive gezweifelt hat. Das war vielleicht schon immer der Unterschied zwischen uns. Er stand etwas mehr unter Spannung als ich, er machte sich etwas mehr Stress und Sorgen. Sicherlich hing das auch mit dem aufkeimenden Spiritualismus seiner Mutter zusammen. Er hat ja dieselbe Ausbildung wie ich durchlaufen, nur wurde diese bei ihm zu Hause manchmal grundlegend hinterfragt. Seine Mutter ging ja ab einem bestimmten Zeitpunkt davon aus, dass Qualitätsdenken nicht gut für unseren Energiehaushalt ist. Dass man sich durch Ambitionen letztlich von sich selbst entfernt und sich nicht etwa, wie es die meisten anderen glaubten, selbst verwirklicht. »Karrieren sind ein hohles Ziel«, soll sie mal gesagt haben, aber ich habe das als Wesleys bester Freund prinzipiell anders gesehen, zumal ich auch annahm, dass seine Mutter in ihrem speziellen Bereich ja ebenfalls Karriere machen wollte. Sie wollte ein immer ausgeglicheneres Energielevel erreichen, eine erfolgreichere Neo-Spiritualistin werden, und wahrscheinlich tut sie bis heute alles dafür, auch wenn das von außen nicht besonders ambitioniert wirkt. In einigen dieser Trainings sitzt man wohl nur so da und blickt bei Nacht in den Himmel, aber man tut das ja doch zielgerichtet, unter Umständen sogar streberhaft, aber das gibt natürlich keiner zu. Wesley muss irgendwo dazwischen gestanden haben, zwischen seiner Mutter und den meisten anderen, und in gewisser Weise könnte so etwas ja eine Zerreißprobe darstellen, aber das kann man wahrscheinlich auch nicht so pauschal sagen.
    Ich glaube, dass bis zu seinem Weggang alles immer schleichend passiert ist. Beziehungsweise: dass ich alle Prozesse immer als schleichend empfunden habe. Während der Seminare im Fach ›Neues internationales Literaturmarketing‹ wurde ich ständig besser im Erkennen von potenziell beliebten Manuskripten und irgendwann war ich dann Agent. Und zwischen Carla und mir veralltäglichte sich der Umgang im Laufe unseres Kontakts so sehr, dass wir bald kaum noch etwas zu verhandeln hatten, sondern nur noch unsere Treffen organisierten. Aber das waren jeweils leise Prozesse, die nebenher stattfanden, ohne dass man sie wirklich mitbekam. Doch seit Wesley verschwunden ist, hat das Leben etwas Abruptes und Plötzliches bekommen, und das war bislang sehr bedrückend. Auch wenn ich hier im CC.Metro-Express das Gefühl habe, dass darin auch eine Chance liegen könnte.
    Nach diesem Absatz klappe ich den Bildschirm meines Computers herunter und lehne mich im ausladenden Komfortsitz zurück. An meinen Fingern klebt Salz, im Laufe des Schreibens habe ich die erste von zwei kleinen Nusspackungen leergegessen. Durch das Fenster schaue ich auf Unmengen von gelbem Raps, auf ein scheinbar endloses Feld, an dem mein Zug lautlos vorüberrast. Über dem Raps ist der Himmel hellblau. Zum ersten Mal seit langem erscheinen mir Text und Realität emotional verschränkt: Ich schreibe über neue Chancen und draußen verändert sich die Landschaft, zumindest ein bisschen, auf das Rapsfeld folgen Windräder und gigantische Strommasten. ›Hier wird CobyCounty mit Licht versorgt‹ , denke ich, dabei weiß ich doch eigentlich, dass unsere Stadt ihr eigenes Licht erzeugt, mit Solar- und Wind- und Wasserkraft. Nach den Strommasten sind wieder Rapsfelder zu sehen, so goldgelb, dass ich annehme, dass die Tönung der Zugscheiben alle Farben prächtiger aussehen lässt. Sukzessive entferne ich mich vom Meer und fahre in diese goldgelbe Rapswelt hinein. Laut Reiseplan ist die nächste relevante Stadt noch mehrere Stunden entfernt, aber das stört mich gerade überhaupt nicht. Die Felder flirren hinter den Scheiben vorbei, wie übergroße Fotografien, kaum vorstellbar, dass hier jemals Regen fällt. Ich schreibe weiter:
    Als Kind, schon Jahre bevor ich Wesley kannte, habe ich mir oft die Zukunft ausgemalt, wie vermutlich die meisten Kinder. Zuerst ging ich davon aus, dass ich mal wie mein Dad sein würde, also dass ich mit Journalisten über meine Filmproduktionen sprechen und dass ich sie dabei zum Lachen bringen würde. Die positiven Artikel würden dann ein paar Wochen später auf dem Frühstückstisch liegen, und darauf würde ich mit meiner

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