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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Randt
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Lebenspartnerin oder meinem Lebenspartner schon am Vormittag anstoßen. So habe ich das kommen sehen. Später habe ich dann aber erfahren, dass man eigentlich einen anderen Weg als seine Eltern gehen will. Und deshalb glaubte ich dann an eine Zukunft in den Vereinigten Staaten von Amerika oder in Zentraleuropa, jedenfalls weit weg. Vor allem wir Kinder sahen ja regelmäßig Filme, die aus diesen befreundeten Ländern kamen, und einige von uns lasen auch Bücher von dort. Ich stellte mir mein späteres Haus so ähnlich vor wie die Häuser, die ich aus CobyCounty kannte, dass ich also eine Etage mit fünf bis acht hohen Zimmern bewohnen würde, nur eben woanders, zum Beispiel in Manhattan. Dort wollte ich dann aber in ganz anderen Stockwerken leben als in CobyCounty, nämlich über den Wolken. Ich dachte, ich würde später in fliegende Busse steigen, die in den Wolken neben meiner Haustür anhielten, und mit diesen Bussen würde ich zu meinem chinesischen Kampfsporttraining fahren, das ich, in sehr elegante Roben gekleidet, in frei schwebenden Räumen absolvieren würde.
    Ich höre auf zu tippen, weil plötzlich mein Handy in der Sporttasche vibriert. Ich kann Wesleys Namen durch das dünne Nylon des Außenfachs hindurch auf dem Display leuchten sehen. Ich zögere für einen Moment, greife zuerst nach einem Weingummi, aber dann doch nach dem Telefon. Ich klinge etwas heiser:
    »Hallo?«
    »Wim! Ich bin’s … So voll war es letztes Jahr aber noch nicht auf der Promenade! Bist du hier irgendwo?«
    Eine Person schiebt einen Snackwagen zwischen den Gängen hindurch, bietet kalte Getränke und Kaffee an. Mir wäre nach einer Pepsicola, aber ich möchte das Gespräch nicht unterbrechen.
    »Sitzt du im Zug!?«
    »Ja. Ich bin am Nachmittag losgefahren. Ich schreibe und ich esse Nüsse und Weingummi. Es geht mir hier ziemlich gut.« Für einen Moment schweigen wir beide.
    »Ich konnte mich nicht bei dir melden. Es war Teil des Programms. Ich war in den USA, bei meiner Mutter. Die meiste Zeit haben wir im Auto gesessen und geschwiegen. Und das war wichtig, aber auch nicht leicht … Ein paar Sachen musste ich einsehen.«
    »Kannst du konkreter werden? Ich habe gerade etwas aufgeschrieben und bringe sonst vielleicht Text und Realität durcheinander.«
    Wesley lacht. »Dir scheint es ja echt nicht schlecht zu gehen … Mir geht es jetzt auch wieder gut. Ich habe das Leben meiner Mutter gelebt. Zum ersten Mal. Und es war sinnvoll. Ich weiß jetzt genauer, wer ich bin …« Wesley spricht jetzt gedämpfter als vor seiner Abfahrt, er scheint jedes einzelne Wort bewusst zu modulieren. Es klingt sonderbar: »Für mich war es ein Ausweg, zu gehen. Aber die eigentliche Lösung ist es, wiederzukommen. Es ist Frühling, Wim! Der letzte Frühling, bevor wir siebenundzwanzig werden … Bist du am Samstag wieder hier? Ich gebe ein Wahldinner! Da wird es einiges zu bereden geben.«

16 ↵
    Der kleine Bahnhof, an dem ich aussteige, scheint frisch gestrichene Mauern zu haben. Es wird gerade dunkel. Neben mir verlassen zwei Frauen mit glänzenden Rollkoffern den Zug, sie gehen zielstrebig in eine Richtung und schauen mich gar nicht an. Die Luft hier ist kühler als die Luft in CobyCounty, und es ist windig und es riecht ein wenig nach Essig und nach Wandfarbe. Weil kein Personal in Sicht ist, stelle ich mich vor einen der Ticketautomaten, um Informationen über Züge in Richtung CobyCounty zu erhalten. Langsam tippe ich mich durch die fremden Display-Menüs und erfahre, dass bereits in dreißig Minuten ein günstiger Expresszug fahren wird, allerdings kein CC.MetroExpress.
    Wesley hat am Telefon zwar nicht wirklich gut geklungen, schien aber bester Laune zu sein. Wenn er nur normal verreist wäre, dann könnte er mir nun sicher Dinge über die USA erzählen, die ich noch gar nicht weiß, und eventuell würde morgen dann der beste Frühling aller Zeiten beginnen, wenn auch leicht verspätet. Aber er ist ja nicht normal verreist, er ist mit seiner Mutter durch die Welt gefahren, er hat ihr Leben ausprobiert, und er hat angefangen, jedes einzelne seiner Wörter sonderbar soft zu modulieren.
    Im günstigen Expresszug finde ich keinen Sitzplatz mehr, weil sämtliche Abteile voller Freiberufler sind, beziehungsweise voller internationaler Jugendlicher, die gerne einmal Freiberufler werden wollen. Die meisten von ihnen trinken Sekt aus den kleinen Plastikbechern, die das uniformierte Zugpersonal vergleichsweise unfreundlich anbietet. Der Freisekt

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