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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Randt
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auftauchen, habe ich mutmaßlich sehr gemocht, und ich glaube, dass sie uns Kindern immer Kakao und weiche Kuchen serviert haben. Auf keiner meiner Plakatwände sind Wolken zu sehen, so als hätte uns Kinder jeden Tag eine warme Sonne bestrahlt. Dabei kann das ja gar nicht sein, es muss auch im Alter zwischen drei und fünf einige Starkregentage gegeben haben, so wie in jeder anderen Lebensphase auch.
    Einmal hat Carla gesagt, dass sie im Alter von vierunddreißig gerne ein Kind kriegen würde, lieber einen Sohn als eine Tochter. »Jungs lassen sich leichter in ein stabiles Leben überführen«, begründete sie ihre Aussage, was natürlich sehr gewagt und weit aus dem Fenster gelehnt war. Aber für sperrige Aussagen war sie immer gut, und das mochte ich auch an ihr. Selbst das Alter vierunddreißig habe ich voll und ganz nachvollziehen können, wahrscheinlich weil mir eine Wartezeit von zehn Jahren bis zum ersten Kind angemessen vorkam. Wir haben natürlich nie darüber gesprochen, dass ich der Vater ihres Sohnes sein könnte. Höchstens zwischen den Zeilen, denn die wirklich wahnsinnigen Gedanken liegen ja immer zwischen den Zeilen. In diesem Fall war es der Wahnsinn einer Aussicht auf eine zehnjährige Beziehung, die dann in eine neue Dimension münden würde, in eine zweckmäßige Erziehungsgemeinschaft, die einem Kind alle denkbaren Wege möglichst lange auf möglichst hohem Niveau offen halten sollte. Zum Glück haben wir das niemals im Ernst thematisiert.
    Noch so etwas, das Carla einmal sagte: »Ich halte eigentlich nichts von Monogamie. Aber manchmal macht sie Spaß.« Nach diesem Satz hatten wir eine unserer besten Nächte. Carla saß auf mir und wir waren beide ziemlich betrunken. Wir führten kleine Dialoge, während wir Sex hatten, hauchten also nicht nur irgendwas, sondern sprachen Halbsätze, die auch sehr ehrlich wirkten. Angetrunkenheit war bis zuletzt ein entscheidender Faktor in unserem Erotikleben. Im ersten Jahr spielte dieser Faktor aber auch außerhalb der Erotik eine große Rolle. Wenn wir zu zweit Konzeptgastronomien besuchten, fühlte ich mich bei Gesprächspausen immer etwas verstockt und unsouverän. Kühle Drinks verbesserten diesen Zustand. Nüchtern stellte ich oft alles zu sehr in Frage, diese Sache mit uns, ob die wirklich Sinn machte, ob wir andockten, mental und physisch, oder ob wir uns das bloß wünschten, weil wir im Grunde ärmlich und bedürftig waren. Teilweise verlor ich in verschwiegenen, unangetrunkenen Zuständen völlig das Gespür für uns. Ich denke, dass wir beide immer diese offene, aber ernsthafte Beziehung gewollt haben, die auch eine gewisse, unausgesprochene Verbindlichkeit mit sich brachte, für unsere insgeheim biederen Herzen.
    In den Konzeptgastronomien und auch an den anderen Orten – am Stand und vor den Eissalons, im Kino und in den Theaterfoyers – bedrückte es mich immer wieder, wenn Carla schweigsam war. Ich dachte dann, dass sie mich in Frage stellte. Oder dass sie sich gerade an eine ihrer Exfreundinnen erinnerte. Dann wurde ich aus Trotz ebenfalls schweigsam und setzte einen melancholischen Blick auf. Es waren teils schwierige Stunden. Aber ich bin heute sentimental genug, um zu behaupten, dass ich fast keine dieser Stunden missen möchte. Abgesehen von den Stunden auf den ColemenHills vielleicht, in denen wir uns so oft übergeben mussten, weil wir uns an den Fonduesoßen unsere Mägen verdorben hatten. Diese Stunden würde ich tatsächlich gerne aus meinen Erinnerungen herausschneiden. Aber das wird sicher nicht gehen, denn an die wirklich unangenehmen Dinge erinnert man sich für immer.
    In den Monaten, in denen Wesley Mentholzigaretten rauchte, weil ihn das angeblich erfrischte, haben wir oft am Fuße der ColemenHills gesessen. Ich erinnere mich an einen Frühjahrsabend, an dem Wesley zwischen zwei Zügen aus der Mentholzigarette fragte, was ich später eigentlich mal machen wolle. Mit ›später‹ meinte er die Zeit nach der Highschool, die Zeit ab achtzehn, und ich habe gesagt, dass ich auf die School of Arts and Economics gehen möchte. Und dann hat Wesley einige Momente lang genickt und geschwiegen, und in diesen Momenten sah sein Rauchen etwas ungeschickt aus, denn er musste mehrfach mit einem Auge blinzeln, weil sein eigener Qualm darin brannte. Irgendwann sagte er: »Ja. Warum nicht?« Damals hatte ich den Eindruck, dass Wesley ein wenig enttäuscht war von meiner Antwort, als wollte er selbst auf etwas ganz anderes hinaus und als

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