Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
Morgenstunden andauerten, oder auch bis in den nächsten Vormittag hinein, aber heute ist erstaunlich wenig los.
Eine einzige andere Person verlässt gerade die Wahlkabine, es ist der feminin gekleidete Croissantverkäufer vom Parkkarree. Wir nicken uns freundlich zu. Als ich bei den Wahlhelfern meinen Stimmzettel abhole, bleibt der Croissantverkäufer noch für einen Moment in der Eingangstür stehen. Er spricht mich an: »Wen wirst du wählen?« Ich sage: »Unseren Bürgermeister.«
Der Croissantverkäufer lächelt aus seinem zarten Gesicht heraus: »Gut so. Ich finde, wir sind jetzt auf dem richtigen Weg in dieser Stadt.« Ein merkwürdiger Ernst liegt in seiner Stimme. Als wären wir jemals auf einem anderen Weg gewesen. Ich nicke zögerlich, und bevor ich in der Kabine verschwinden kann, stellt er die nächste Frage: »Bist du noch mit deiner dunkelblonden Freundin zusammen?«
Ich drehe mich nur halb zu ihm um: »Gerade nicht mehr, nein.«
»Das tut mir leid.«
»Schon in Ordnung. Ich bin darüber hinweg.«
Die Stellwände der Wahlkabine sind türkis, passend zu den Tischplatten des Eissalons. Ich blicke auf den Zettel und mache mein Kreuz im falschen Feld, neben »Marvin Chapmen« , sodass ich es wieder wegkritzeln muss, um danach das richtige Feld anzukreuzen. Ich bin zwar nicht ganz sicher, ob der Stimmzettel nun überhaupt noch gültig ist, aber es wäre mir auch unangenehm, nach einem neuen zu fragen. Also zeichne ich das Kreuz neben ›Peter Stanton‹ mehrfach nach, sodass es auch von weitem zu erkennen wäre.
Es erleichtert mich, dass der Croissantverkäufer nicht gewartet hat. Außer mir sind jetzt nur noch die Wahlhelfer im Eissalon, drei gutaussehende Studenten, die aufgereiht hinter der Theke stehen. Ich bestelle einen Espresso zum Mitnehmen, um einigermaßen wach auf Wesleys Dinner zu erscheinen, und meine Bestellung wird strahlend entgegengenommen. Der Espresso kommt in einem kleinen, gut isolierten Pappbecher, der mit dem Go!Vote! -Logo bedruckt ist. Er liegt warm, aber nicht zu heiß in der Hand, und als der Kaffeedunst in meine Nase steigt, bin ich für einen Moment wieder sehr glücklich, in CobyCounty zu leben. Im Raum sind Boxen verteilt, es läuft ein Popsong, aus dem ich das Keyboard plötzlich kristallklar heraushören kann. Für meine Fahrradfahrt zu Wesley lasse ich mir von den Wahlhelfern noch etwas Teegebäck einpacken.
Das Dinner hat offiziell erst vor einer halben Stunde begonnen, doch der blonde Johnson tanzt bereits vor sich hin. Er trägt ein dünnes, weit ausgeschnittenes Trägerhemd. Soweit ich weiß, war er mit achtzehn der schnellste Mann von CobyCounty, und zu Schulzeiten hat er in vielen verschiedenen Auswahlmannschaften gespielt. Er blickt mich betrunken an: »Wim ist da! Leute! Wim ist da!« Frank und Amy und Max sitzen um den runden Esstisch, auf den ein mächtiger Fisch drapiert wurde. Frank hat sich ein weißes Hemd mit feiner Knopfzeile angezogen, durch das seine kleinen, dunkelbraunen Brustwarzen zu erahnen sind. Er scheint sich des Ernstes der Situation bewusst zu sein, das merke ich gleich, das liegt in seinem Blick und dem formellen Händedruck, für den er extra aufsteht. Amy und Max sind schon immer ein Paar, ich gebe auch ihnen die Hand, aber sie bleiben dabei entspannt vor ihren Weißweingläsern sitzen. Wesley steht am Herd und rührt eine Soße an. Sein Blick ist bereits glasig, er kommt auf mich zu und reicht mir ein etwas zu volles Glas: »Schorle!« , sagt er. Es riecht nach Koriander und nach zerlassener Butter, aber vor allem nach der würzig anfrittierten Haut dieses mächtigen Fisches, dieses ausgewachsenen Pintauyork. Ich stoße mit allen Gästen an, auch mit dem kaum bekleideten Johnson, der als einziger Rosé trinkt. »Du bist ja immer noch gut in Form« , sage ich, »ich dachte, du würdest jetzt Drogen nehmen und langsam aufschwemmen.« Johnson lacht pauschal. Wir kennen uns schon lange, hatten aber nie den besten Draht. Er hat dieselbe Highschoolklasse wie Wesley besucht, er war sein erster Liebhaber. »Meine Drogen halten mich gut in Schuss« , sagt er, und dann berührt er meine Bauchpartie mit dem Zeigefinger: »Bei dir ist das wohl anders?« Ich antworte, dass die meisten Mädchen diesen kleinen Bauch sehr süß fänden und dass es mir gut damit gehe. Johnson schaut mir in die Augen, Wesley bittet uns an den Tisch.
An der Wand hängt sein Fernseher, auf dem gerade die dürre Jane mit einem Mikrofon zu sehen ist. Jane ist eine meiner
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