Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
Mitschülerinnen aus PrimarySchool-Zeiten, mittlerweile arbeitet sie als Politreporterin. Ich glaube, dass mein Dad mal eine Affäre mit ihrer Mutter hatte, aber das spielt für uns beide ja eigentlich keine Rolle. Ich begegne ihr auch nur selten, sie geht wohl in etwas andere Bars als ich, aber vielleicht bleibt sie auch oft zu Hause, das ist beides möglich. Der Ton des Fernsehers ist noch ausgeschaltet, die ersten Hochrechnungen sind nicht vor halb elf zu erwarten. In der Regel inszenieren die Sendeanstalten eine lange Wahlnacht, obwohl alles meistens schnell feststeht. Es ist kurz vor zehn. Johnson wirft sich ein Hemd über, bevor er sich zu uns setzt. Wesley überlässt es, obwohl er Gastgeber ist, jemand anderem, den edlen Pintauyork anzuschneiden. Er fragt aber nicht in die Runde, sondern übergibt das Messer ganz selbstverständlich an Frank. Frank krempelt seine Ärmel auf, sodass seine Unterarmtätowierung deutlich zu sehen ist: ein lachender Delfin, aus dessen Schwanzflosse der Kopf eines Einhorns erwächst, darüber der Schriftzug ›Friendship‹ in altertümlicher Typografie. Wahrscheinlich hat sich Frank diese Tätowierung in einem Alter stechen lassen, in dem auch ich noch über Einhörner und Delfine lachen konnte. Wenn Frank klug wäre, würde er irgendwann anfangen, diese Tätowierung ernsthaft schön zu finden. Doch vermutlich wird er versuchen, seine Ironie über Jahrzehnte hinweg zu konservieren, die Tätowierung offensiv zur Schau tragen, sich aber insgeheim für sie schämen. Es klingt gut, als die frittierte Haut des mächtigen Fisches unter seinem Messer zerbricht. Frank verteilt die ersten Stücke sauber auf unseren Tellern und erzählt von einem kalifornischen Fest, das vor einigen Tagen am Strand stattgefunden habe, organisiert vom Untergrund, primär besucht von Touristen aus Los Angeles und San Francisco. Johnson behauptet, dass der Untergrund immer bessere Partys schmeißen würde, dass sich da einiges bewege in letzter Zeit. Er ruft: »Sogar Wim säuft jetzt im Untergrund!« Amy und Max schauen mich überrascht an, Wesley scheint längst Bescheid zu wissen. Johnson macht beim Sprechen hektische Gesten: »Ich hab ihn in der Colemen&Aura-Passage gesehen …«
Während ich mir von dem gegarten Gemüse und den Süßkartoffeln nehme, sage ich wie nebenher, dass die Veranstaltung in der Passage hässlich und dumm gewesen ist. Ich schaue in Johnsons leuchtend blaue Augen: »Wie hat es dir denn gefallen?«
»Meiner Ansicht nach die lebendigste Party dieses Frühlings bisher. Aber ich habe heute ja auch gegen den Familienclan AuraColemen gestimmt.«
Wir ignorieren seinen Seitenhieb. Ich wende mich an Amy und Max, die bereits essen und zufrieden aussehen: »Geht ihr auch auf diese Feste?«
Max grinst. »Nein, Amy ist dafür zu häuslich geworden.« Alle am Tisch wissen, dass er ungefähr das Gegenteil von dem meint, was er gerade gesagt hat. Amy schaut mich an:
»Wir waren auch auf dieser Kalifornienparty. Die war eigentlich sehr lustig. Nur konnte ich danach ein paar Nächte nicht mehr durchschlafen. Aber vielleicht gehört das ja dazu.«
»Eine Frage der Gewohnheit« , sagt Johnson.
»Sicher« , sagt Amy, »nur will ich mich gar nicht daran gewöhnen.« Für einige Momente ist nur das Besteck auf den Tellern zu hören. Ich trinke meine Weißweinschorle in großen Zügen, was aber kaum auffällt, weil das alle an diesem Tisch so machen. Kurz frage ich mich, ob das schon immer so gewesen ist, mit den Weißweinschorlen. Und dann denke ich an früher und stelle fest, dass wir in dieser Konstellation noch nie zusammengesessen haben. Amy und Max sind schon lange mit Wesley befreundet, seit der elften Klasse ungefähr, und auch damals waren sie schon ein Paar. Ich bin ihnen meist nur zufällig begegnet, aber wir hatten nie ein Problem miteinander. Dass Johnson und ich aufeinandertreffen, hat Wesley immer zu verhindern gewusst, und Frank gibt es ja erst seit Januar.
Der Pintauyork ist außen knusprig und innen zart, das ist die klassische Zubereitung dieses Salzwasserfisches, der angeblich nur vor der Küste CobyCountys zu finden ist und nur noch selten gefangen werden darf. Trotzdem bleibt sein Verzehr an Wahlabenden sowie am Neujahrstag Tradition. Ich versuche mich ganz auf seinen salzigen Geschmack zu konzentrieren.
Nach dem Dessert, einer Honig-Joghurt-Speise an gerösteten Walnüssen, stellt uns Wesley fünf Pfefferminzliköre auf den Tisch. Der Likör brennt in der Speiseröhre und auf
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