Schindlers Liste
nicht in der Rolle von Gott und Mephisto, die um eine unsterbliche Seele würfelten. Ob er überhaupt das Recht habe, einen derartigen Vorschlag zu machen, fragte er sich nicht; immerhin würde es sehr schwer sein, sie auf andere Weise loszueisen, falls er verlor. Aber jetzt war alles riskant, auch seine eigenen Aussichten waren keineswegs rosig.
Schindler stand auf und suchte einen Briefbogen mit dem Briefkopf des Lagers. Darauf schrieb er: »Hiermit genehmige ich, daß der Name der Lagerinsassin Helene Hirsch in die Liste der Arbeitskräfte aufgenommen wird, die Herrn Oskar Schindler bei der Verlegung der DBF zu übergeben sind.«
Göth hielt die Bank und teilte Schindler ein As und eine Fünf aus. Schindler paßte. Göth überkaufte sich. Verloren. »Herr im Himmel!« sagte er. Göth benutzte keine gemeinen Flüche, das lag ihm nicht. »Überkauft.« Widerstrebend unterschrieb er. Schindler gab ihm alle Spielmarken, die er an diesem Abend gewonnen hatte, und bemerkte dabei: »Passen Sie mir gut auf das Mädchen auf. Und nun gute Nacht.« Helene Hirsch ahnte nicht, daß sie Schindlers Kartenglück ihr Leben verdankte. Wohl weil Schindler seinem Freund Stern von diesem Abend erzählte, verbreitete sich das Gerücht von Schindlers Liste in der Lagerverwaltung und sogar in den Werkstätten. Kein Einsatz war zu hoch, um auf diese Liste zu kommen.
Kapitel 31
Spricht man mit den überlebenden Freunden Schindlers über ihn, kommt unfehlbar der Moment, wo der Versuch gemacht wird, seine Motive nachträglich zu klären. »Ich weiß wirklich nicht, was ihn dazu bewogen hat«, gehört zu den stehenden Wendungen der überlebenden Schindlerjuden. Man könnte zunächst darauf verweisen, daß Schindler eine Hasardeur war, jemand, der sich von seinem Gefühl leiten ließ, und diese Gefühle tendierten zum Guten. Ferner, daß er vom Temperament her ein Anarchist war, dem es Spaß machte, ein System durcheinanderzubringen. Auch, daß sich unter einer stark entwickelten Sinnlichkeit eine mühsam beherrschte Wildheit verbarg, die ihn dazu trieb, zu handeln und nichts hinzunehmen. Das alles reicht aber wohl nicht, die Verbissenheit zu erklären, mit der er im Herbst 1944 die Rettung seiner Häftlinge aus dem ehemaligen Nebenlager Emalia betrieb.
Und nicht nur dieser. Anfang September setzte er sich mit Madritsch, der jetzt mehr als Häftlinge in seiner Uniformfabrik beschäftigte,in Podgorze zusammen. Die Fabrik sollte nun aufgegeben werden. Madritsch würde seine Nähmaschinen zurückbekommen, und seine Arbeiter würden verschwinden. »Wenn wir gemeinsam einen Versuch machen, könnten wir mehr als 4000 rausholen«, sagte Schindler. »Nicht nur meine, auch Ihre. Wir könnten sie allesamt nach Mähren evakuieren.«
Madritsch steht mit Recht bei seinen überlebenden Häftlingen in bestem Angedenken. Auf eigene Kosten und unter großen Risiken schaffte er für sie jahrelang Brot und sonstige Lebensmittel ins Lager. Man hat ihn wohl auch für berechenbarer gehalten als Schindler, er war alles andere als ein bunter Vogel, und er war auch nicht besessen. Er war nie verhaftet worden. Aber er war sehr viel menschlicher, als er hätte sein dürfen, und er hätte, wäre er weniger gewitzt und energisch gewesen, gewiß in Auschwitz geendet. Und nun malte ihm Schindler ein Madritsch-Schindler-Lager aus, irgendwo in einem kleinen Industrieort des Altvatergebirges, wo man sicher wäre.
Madritsch gefiel der Gedanke, doch übereilte er nichts. Er wußte, daß die Massenmörder nur desto verbissener ihr Geschäft fortsetzten, je mehr der Krieg seinem unvermeidlichen Ende zuging. Seine Vermutung, die Häftlinge von Plaszow würden in den kommenden Monaten in die Vernichtungslager geschickt, war nur allzu richtig. Schindler war besessen, aber die Kommandanten der Todesfabriken und das Judenreferat im RSHA waren es nicht weniger. Er lehnte allerdings auch nicht ab. Er müsse sich das überlegen. Er hat das nicht zu Schindler gesagt, doch ist vorstellbar, daß er sich scheute, zusammen mit einem impulsiv handelnden, dämonischen Mann wie Schindler einen Betrieb zu führen.
Ohne eine klare Entscheidung von Madritsch machte Schindler sich also auf den Weg nach Berlin und zu Oberst Lange. »Ich kann meinen Betrieb ganz auf die Fertigung von Kartuschen umstellen«, sagte er, »ich kann meine schweren Maschinen auslagern.«
Langes Hilfe war ausschlaggebend. Der konnte Aufträge garantieren, konnte gewichtige Empfehlungsbriefe schreiben an die
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