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Schindlers Liste

Schindlers Liste

Titel: Schindlers Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Keneally
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ummauerter Kanonenofen. Pritschen gab es keine, statt dessen hatten sich zwei oder drei Frauen einen dünnen Strohsack zu teilen. Der Boden war feucht, und Feuchtigkeit tränkte die Strohsäcke und die zerschlissenen Decken. Es war ein Haus des Todes inmitten von Birkenau. Da lagen sie und dösten, frierend und beklommen, auf dieser endlosen morastigen Ebene.
    Mit dem mährischen Dorf, das sie sich erträumt hatten, hatte dies hier nichts zu tun. Dies hier war eine Großstadt. Hier hielten sich vorübergehend an einem beliebigen Tage mehr als eine Viertelmillion Polen, Zigeuner und Juden auf, und Tausende mehr in Auschwitz I, dem ursprünglichen, kleineren Lager, in dem auch der Kommandant lebte, Rudolf Höß. Und in Auschwitz III, einer großen Industrieansiedlung, arbeiteten weitere Zehntausende, solange ihre Kräfte reichten. Die Schindlerfrauen kannten diese Zahlen selbstverständlich nicht, immerhin sahen sie am westlichen Rande des Geländes, hinter den Birken, unentwegt Rauch aus den vier großen Krematorien und von den Scheiterhaufen aufsteigen. Sie glaubten verloren zu sein und ebenfalls dort zu enden. Doch bei aller Bereitschaft, Gerüchte in Umlauf zu setzen und selber daran zu glauben, hätten sie sich nicht ausmalen können, wie viele Menschen an einem »guten« Tag hier vergast wurden — gut heißt, wenn die Anlagen befriedigend arbeiteten. Höß selber nannte die Zahl: 9000.
    Die Frauen wußten auch nicht, daß neue Richtlinien erlassen worden waren, gerade als sie in Auschwitz eintrafen. Der Kriegsverlauf und Geheimverhandlungen zwischen Himmler und Graf Folke Bernadotte hatten dies bewirkt. Das Geheimnis der Vernichtungslager hatte nicht gewahrt werden können; die Russen hatten das Lager Lublin, die Verbrennungsöfen mit Knochenresten sowie 500 Behälter mit Zyklon B gefunden. Diese Nachricht verbreitete sich über die ganze Welt, und Himmler, der sich bereits als respektierter Nachfolger seines Führers sah, war bereit, den Alliierten zu versprechen, die Judenvernichtung einzustellen. Den Befehl dazu gab er allerdings erst im Laufe des Oktober, wann genau, ist nicht bekannt. Eine Ausfertigung erhielt Pohl in Oranienburg, die andere Kaltenbrunner, der Chef des RSHA in Berlin. Beide ignorierten den Befehl und Eichmann ebenfalls. Bis Mitte November wurden Juden aus Plaszow, Theresienstadt und Italien weiter vergast, allerdings wird angenommen, daß nach dem 30. Oktober nicht mehr selektiert wurde.
    Während der ersten Woche ihres Aufenhalts in Auschwitz gab es immer wieder Anzeichen dafür, daß auch die Schindlerfrauen vergast werden sollten. Und auch als die letzten Opfer in den Gaskammern und den Krematorien verschwanden und die Verbrennungsanlagen den Rückstau der Leichen nach und nach auflösten, merkten sie nichts davon, daß sich in Auschwitz Wesentliches verändert hätte. Und ihre Furcht war nicht unberechtigt, denn die meisten, die nicht vergast worden waren, wurden jetzt erschossen -u. a. alle, die in den Krematorien gearbeitet hatten - oder starben an Krankheiten.
    Jedenfalls wurden die Schindlerfrauen im Oktober und im November mehrmals ärztlich inspiziert. Einige waren schon ausgesondert und in die Baracke der unheilbar Kranken eingewiesen worden. Die Ärzte von Auschwitz — Josef Mengele, Fritz Klein, König und Thilo - selektierten nicht nur an der Rampe, sondern streiften auch auf der Suche nach weiteren Opfern durchs Lager, damit nur keine Alten und Kranken übersehen würden. Clara Sternberg kam in eine Baracke zu älteren Frauen, ebenso die sechzigjährige Lola Krumholz. Hier mochten sie sterben, ohne dem Lager Kosten zu verursachen. Frau Horowitz, die glaubte, ihre empfindliche Niusia könne eine weitere
    »Badinspektion« nicht überstehen, versteckte sie in einem leeren Boiler. Dabei wurde sie von einer der Schindlergruppe zugeteilten Aufseherin erwischt, aber nicht verraten, obwohl diese hübsche Blondine eine gefürchtete Schlägerin war. Später verlangte sie von Frau Horowitz ein Geschenk und bekam die Brosche, die bislang bei keiner Filzung entdeckt worden war. Es gab noch eine andere Aufseherin, eine behäbigere, sanftere, die lesbische Annäherungen versuchte und sich wohl andere Geschenke machen ließ.
    Beim Morgenappell erschienen manchmal einer oder mehrere der Ärzte vor den Baracken, und die Frauen rieben ihre Wangen mit Lehm ab, um sie etwas zu röten. Einmal fragte Mengele Frau Horowitz, wie alt Niusia sei, und als sie ihn belog, ihre Tochter älter machte, als

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