Schindlers Liste
überleben werde, daß er Goldberg androhte, er wolle ihn nach dem Kriege zur Rechenschaft ziehen.
Am dritten Tag wurden die 800 Männer, die auf der nun wiederum geänderten Liste standen, ausgesondert, noch einmal entlaust und nach einer kurzen Frist, in der sie sich im Umkreis der Baracken bewegen durften, mit einer kleinen Brotration versehen, einwaggoniert. Keiner der Aufseher kannte angeblich ihren Bestimmungsort. Sie versuchten, dem Wege des Zugs zu folgen, beobachteten den Stand der Sonne durch die mit Maschendraht gesicherten Ventilationsklappen nahe dem Wagendach. Olek Rosner wurde hochgehoben und berichtete, daß er Wälder sähe und Berge. Die Kundigen glaubten, der Zug bewege sich in südöstlicher Richtung, was auf einen Zielbahnhof in der Tschechoslowakei hindeutete. Aber auszusprechen wagte das niemand.
Für diese knapp 200 Kilometer brauchten sie zwei Tage. Am Morgen des zweiten Tages wurden die Türen aufgeschoben, und der Zug stand auf dem Güterbahnhof von Zwittau. Die Häftlinge stiegen aus und marschierten durch eine noch verschlafene Stadt, die aussah, als wäre das Leben hier in den dreißiger Jahren stehengeblieben. Selbst Inschriften an den Mauern KEINE JUDEN NACH BRÜNNLITZ wirkten wie aus der Vorkriegszeit. Bisher hatten sie in einer Welt gelebt, die ihnen nicht die Luft zum Atmen gönnte, und sie empfanden es als geradezu großmütig, daß die Bürger von Zwittau ihnen nur den Aufenthalt an einem bestimmten Ort mißgönnten.
Dem Nebengeleise folgend, erblickten sie nach etwa fünf Kilometern im herbstlichen Morgenlicht den wuchtigen Anbau der Hoffmannschen Textilwerke, jetzt umgewandelt zum Arbeitslager Brünnlitz samt Wachtürmen, Stacheldraht, Unterkunft für Wachmannschaften innerhalb der Umzäunung und das eigentliche Lagertor, durch das die Häftlinge in den für sie abgeteilten Oberstock des Anbaus gelangten.
Als sie durch das äußere Tor hereinmarschierten, erschien im Fabrikhof Oskar Schindler, auf dem Kopf einen Tirolerhut.
Kapitel 33
Auch dieses Lager war wie das Nebenlager Emalia mit Schindlers Geld errichtet worden. So war es nun mal Brauch: Die Behörden erwarteten, daß der Unternehmer seine Arbeitskräfte aus eigenen Mitteln eingesperrt hielt, schließlich waren sie billig, und da fielen wohl die Kosten für ein bißchen Holz und Draht nicht ins Gewicht. Krupp und IG Farben bekamen ihr Baumaterial kostenlos von SS-eigenen Betrieben geliefert samt einer praktisch unbegrenzten Zahl von Häftlingen. Aber das waren Vorzugsbedingungen, auf die Schindler keinen Anspruch erheben konnte. Mit Mühe hatte er sich von Bosch etliche Säcke Zement beschaffen können, und das zu Vorzugs-Schwarzmarktpreisen. Aus derselben Quelle stammten mehrere Tonnen Treibstoff für Generatoren und Transportfahrzeuge. Draht hatte er aus dem alten Lager mitgebracht. Aber das war ja nicht alles: ein stromführender Zaun; Latrinen; Unterkünfte für hundert Bewacher der SS; ein Büro für das Wachpersonal; ein Krankenrevier; eine Lagerküche - das war die Standardausrüstung,
und dazu kamen Extras: Sturmbannführer Hassebroeck war aus Groß-Rosen zur Besichtigung gekommen und mit Cognac, Porzellan und »kiloweise Tee« versehen, wie Schindler später sagte, wieder abgefahren, und überdies hatte er Inspektionsgebühren und eine Spende für die Winterhilfe kassiert, alles ohne Quittung. Schindler erzählte: »In seinem Wagen konnte er wirklich viel unterbringen«, und er zweifelte nicht daran, daß Hassebroeck vom ersten Tag an die Rationen für das Lager Brünnlitz gewinnbringend kürzen würde. Und die Inspektoren von Oranienburg mußten ebenfalls zufriedengestellt werden.
250 Rungenwagen waren erforderlich, um die Produktionsanlagen der DBF zu verlagern, und Schindler staunte darüber, daß jetzt, wo es an allen Ecken und Enden bröckelte, die Ostbahn das rollende Material für solche Transporte noch bereitstellen konnte.
Das wirklich Einzigartige des Ganzen ist allerdings, daß der Unternehmer Oskar Schindler, der da mit seinem kecken Tirolerhut im Fabrikhof steht, nicht die geringste Absicht mehr hatte, eine wie auch immer geartete Produktion aufzuziehen, sehr im Gegensatz zu Krupp und IG Farben und vielen anderen Unternehmen, die sich jüdische Arbeitsklaven hielten. Vier Jahre zuvor war er nach Krakau gekommen in der Hoffnung, ein reicher Mann zu werden, jetzt hatte ihn jeder unternehmerische Ehrgeiz verlassen, er hatte keine Verkaufsstatistiken mehr im Kopf, kein
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