Schindlers Liste
wieder: »Ihr werdet sehen, es kommt noch alles zurecht. Schindler bringt uns irgendwohin, wo es warm ist und Suppe gibt.« Warum sie darauf beharrte, wußte sie selber nicht. In der Emalia hatte sie niemals so optimistische Wendungen benutzt, da hatte sie still ihre Arbeit verrichtet und war froh, wenn sie abends ihre Suppe bekam und schlafen durfte. Große Ereignisse hatte sie nie vorhergesagt. Jetzt, da sie krank war, hatte sie schon überhaupt keinen Anlaß zu solchen Prophezeiungen. Sie wurde allmählich vor Hunger und Kälte immer weniger, und doch wiederholte sie bei sich zu ihrer eigenen Verblüffung immer wieder Schindlers Versprechungen.
Als sie später in eine andere Baracke verlegt wurden, näher an die Krematorien, und nicht wußten, ging es nun in die Bäder oder die . Gaskammern, beharrte Lusia immer noch auf ihren Hoffnungen. Im übrigen weigerten sich die Schindlerfrauen fast alle, diese Hölle als das Ende zu betrachten. Man konnte sie immer wieder zusammenhocken sehen und über Kochrezepte schwatzen hören.Brünnlitz war, als die Männer dort eintrafen, kaum mehr als eine leere Hülse. Noch gab es keine Pritschen, auf dem Boden der Schlafquartiere im Oberstock lag Stroh. Immerhin war die Dampfheizung in Betrieb. Gekocht werden konnte am ersten Tage nicht, und man aß die angelieferten Rüben roh. Später dann wurde Suppe gekocht und Brot gebacken, und der Ingenieur Finder teilte die Arbeiten zu. Aber vom ersten Tage an ging alles in langsamem Tempo, es sei denn, SS-Personal tauchte auf. Es ist erstaunlich, daß die Gefangenen von Anfang an spürten, daß ihr Direktor nicht mehr an Produktion interessiert war. Das Arbeitstempo war für sie eine Demonstration, sie fühlten, daß sie sich rächen konnten, ohne Schindler zu schaden.
Mit der Arbeitskraft hauszuhalten, erzeugte so etwas wie einen Rauschzustand. Anderswo schufteten die Arbeitssklaven mit 600 Kalorien täglich bis zum Umfallen und hofften, die Vorarbeiter würden sie behalten und nicht in ein Vernichtungslager schicken. Hier in Brünnlitz konnte man mit der Schaufel in der Hand trödeln und trotzdem am Leben bleiben.
Das wurde nicht gleich in den ersten Tagen deutlich; zu viele Gefangene lebten in Sorge um ihre Frauen. Horowitz hatte in Auschwitz Frau und Tochter. Rosners Frauen waren dort.
Pfefferberg wußte, wie furchtbar seine Mila in einem Lager wie Auschwitz leiden würde.
Sternberg und sein halbwüchsiger Sohn hatten Angst um Clara Sternberg, und Pfefferberg erinnerte sich, daß die Gefangenen Schindler in der Werkshalle umringten und immer wieder nach dem Verbleib ihrer Frauen fragten.
»Ich hole sie raus«, grollte Schindler. Erklärungen gab er nicht, sagte nicht, daß man womöglich das SS-Personal in Auschwitz bestechen müsse, erwähnte nicht, daß er Oberst Lange die Liste mit den Namen seiner Frauen geschickt hatte, daß er und Lange entschlossen waren, jede einzelne aus Auschwitz zu retten. Nichts dergleichen, sondern einfach: »Ich hole sie raus.«
Die SS-Garnison, die jetzt in Brünnlitz einzog, gab Schindler Anlaß zu Optimismus. Es waren ältliche Reservisten anstelle der jüngeren, die an die Front abgegangen waren. Es gab unter ihnen nicht so viele Verrückte wie in Plaszow, und Schindler hielt sie mit seiner Verpflegung bei Laune - einfach, aber gut und viel. Er besuchte sie in ihrer Unterkunft und hielt seine übliche Rede — seine Gefangenen seien Spezialisten, die kriegswichtige Arbeit verrichteten, Pak-Granaten herstellten und Gehäuse für Flugkörper, die noch auf der Geheimhaltungsliste stünden. Die Wachmannschaften sollten sich außerhalb der Fabrik halten, andernfalls werde die Produktion gestört. Er sah ihnen an, daß es ihnen recht war, hier in dieser kleinen Stadt zu sein, wo sich die Chance bot, das Kriegsende ungeschoren zu überleben. Sie terrorisierten niemanden, wie Göth oder Hujer. Ihnen lag nichts daran, daß der Herr Direktor etwa Klage über sie führte. Doch noch war der Kommandant nicht eingetroffen.
Er war jung und scharf und mißtrauisch. Und der würde sich so leicht den Zutritt zu den Werkstätten nicht verbieten lassen, das wußte Schindler schon.
Während Betonböden gegossen, Maschinen aufgestellt, die SS-Wachen gezähmt wurden und Schindler neuerdings das Leben eines Ehemanns führte, wurde er zum dritten Mal verhaftet.
Die Gestapo erschien vor der Mittagspause. Schindler war nicht da, er war morgens geschäftlich nach Brunn gefahren. Unmittelbar vor der Gestapo war ein
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