Schindlers Liste
am Ende der Fahrt von einem Schindler-Etablissement aufgenommen zu werden.
Die 300 Frauen, die am folgenden Sonntag verladen wurden, dachten ebenso. Es fiel manchen auf, daß Goldberg ebensowenig Gepäck mit sich führte wie die anderen. Offenbar verfügte er über Vertrauensleute außerhalb des Lagers, die seine Schätze für ihn aufhoben. Weil manche immer noch hofften, ihn zugunsten eines Verwandten beeinflussen zu können, hatte er als einziger reichlich Platz für sich, während die anderen eng aneinandergedrängt hockten. Dolek Horowitz hielt den sechsjährigen Richard im Arm; Henry Rosner bettete den neunjährigen Olek auf ein Kleiderbündel.
Einen ganzen Tag dauerte die Reise. Der Atem gefror an den Wänden, wenn der Zug auf Abstellgleisen hielt. Die Luft war immer knapp, dazu eisig und abgestanden. Als der Zug dann in der Herbstdämmerung endgültig anhielt, wurden die Türen aufgeschoben und die Häftlinge aufgefordert auszusteigen, und zwar schnell. »Alle Sachen ausziehen!« brüllten SS-Leute. »Alles wird desinfiziert!« Nackt marschierten sie ins Lager und stellten sich um sechs Uhr abends auf dem Appellplatz auf. Die sie umgebenden Bäume waren verschneit, der Boden eisig. Dies war kein Schindler-Lager, es war Groß-Rosen. Wer Goldberg bestochen hatte, warf ihm mordlüsterne Blicke zu. SS-Leute in schweren Mänteln schritten die Reihen ab, verteilten Peitschenhiebe auf die Gesäße der Frierenden. Es waren keine Baracken frei, und man ließ die Häftlinge die ganze Nacht draußen stehen. Erst am nächsten Vormittag kamen sie unter Dach. In diesen siebzehn Stunden ist offenbar niemand gestorben; mag sein, das Leben im Lager, sogar das im Nebenlager Emalia, hatte sie alle genügend abgehärtet.
Auch war es nicht ganz so kalt wie in den vorangegangenen Nächten, aber doch kalt genug.
Und der Gedanke, irgendwann doch nach Brünnlitz zu kommen, ließ gewiß so manchen durchhalten. Jedenfalls überlebten auch die Älteren und die Kinder. Gegen elf Uhr führte man sie in Duschräume. Pfefferberg musterte die Brause über seinem Kopf argwöhnisch und fragte sich, ob Wasser ausströmen würde oder Gas. Bevor es aufgedreht wurde, rasierten Ukrainer ihnen Kopf-, Scham-und Achselhaare. Man mußte Achtungstellung einnehmen während dieser Prozedur, die mit stumpfen Rasiermessern vorgenommen wurde. Als jemand sich darüber beklagte, brachte ihm der Ukrainer einen Schnitt in den Schenkel bei, um zu zeigen, daß seinRasiermesser doch noch nicht ganz stumpf war. Nach dem Duschen bekamen sie die gestreifte Lagerkleidung und wurden in Baracken zusammengepfercht, und zwar Männer in drei Baracken, was nur möglich war, indem man sie wie Galeerenruderer plazierte, immer einen zwischen die gespreizten Beine des hinter ihm Sitzenden.
Deutsche Kapos saßen entlang den Wänden, den Knüppel in der Hand. Wer die Erlaubnis bekam, zur Latrine zu gehen, mußte über Köpfe und Schultern steigen. In einer Baracke war eine provisorische Küche eingerichtet, wo Rübensuppe brodelte und Brot gebacken wurde.
Pfefferberg erkannte in einem der Köche einen seiner ehemaligen Unteroffiziere wieder, der ihm ein Stück Brot gab und ihn am Küchenfeuer auf dem Boden schlafen ließ. Die anderen verbrachten die Nächte in der schon beschriebenen Weise zusammengedrängt.
Täglich standen sie zehn Stunden lang schweigend auf dem Appellplatz. Nach der abendlichen Suppe durften sie miteinander sprechen und im Umkreis der Baracken Spazierengehen. Um 21 Uhr befahl das Schrillen einer Trillerpfeife sie zurück in die Baracken und in ihre absonderliche Schlafstellung.
Am zweiten Tag fragte ein SS-Offizier nach dem Schreiber, der die Schindler-Liste zusammengestellt hatte; anscheinend war die versehentlich nicht aus Plaszow mitgeschickt worden. Goldberg wurde in ein Büro geführt und sollte hier aus dem Gedächtnis die Liste neu erstellen. Er wurde an diesem Tage nicht damit fertig, und abends bestürmte man ihn mit weiteren Forderungen. Noch hatte die Liste weiter nichts bewirkt, als daß alle sich in Groß-
Rosen befanden. Pemper und andere verlangten unter Androhung von Repressalien von Goldberg, daß er Dr. Alexander Bibersteins Namen auf die Liste setze. Das war der Bruder des ersten Präsidenten des Judenrates von Krakau. Goldberg hatte ihm versichert, er stehe auf der Liste, und erst, als die Einteilung zum Transport stattfand, merkte Biberstein, daß dies gelogen war. Selbst in Groß-Rosen vertraute Pemper so fest darauf, daß er
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