Schindlers Liste
erfuhr er, daß 7000 Personen »ausgekämmt« worden waren. Für die Schreibtischtäter in der Pomorskastraße war die Aktion ein voller Erfolg.
Schindler hörte jetzt genauer hin, wenn von diesen Dingen die Rede war. So wußte er, daß ein gewisser Wilhelm Kunde die Oberleitung gehabt hatte, daß die Aktion aber von einem SS-Obersturmführer durchgeführt worden war. Schindler machte sich keine Notizen, aber er merkte sich so etwas für den Tag, an dem er entweder Canaris oder der Weltöffentlichkeit darüber berichten wollte. Dieser Tag kam früher, als er erwartete. Zunächst einmal forschte er Vorkommnissen nach, die er bislang als vereinzelte Irrsinnstaten beurteilt hatte.
Informationen bekam er von seinen Bekannten bei der Polizei, aber auch von nüchternen Juden, wie Stern einer war. Im Getto trafen Nachrichten aus anderen Teilen Polens ein, meist über Pankiewicz’ Apotheke. Dolek Liebeskind, einer der Führer des jüdischen Widerstandes, sammelte Informationen über die Zustände in anderen Gettos, er reiste als Beauftragter der von den Deutschen noch geduldeten Selbsthilfeorganisation der Jüdischen Gemeinden im Lande herum.
Dem Judenrat mit solchen Dingen zu kommen war nutzlos. Der Judenrat hielt es für unangebracht, die Gettobewohner über die Lage aufzuklären. Das würde nur Unruhe hervorrufen, und Unruhe führte zu Strafaktionen.
Besser war es, die wildesten Gerüchte zu dulden, denen die Leute dann doch keinen Glauben schenkten, sich vielmehr nach wie vor Hoffnungen machten. Das war die Meinung der meisten Mitglieder des Judenrates schon unter Rosenzweig gewesen. Den gab es aber nicht mehr. Statt seiner übernahm der Handelsvertreter David Gutter den Vorsitz. Nun wurden nicht nur von der SS Teile der für das Getto bestimmten Rationen unterschlagen, sondern auch von Gutter und seinen neugewählten Ratsmitgliedern, deren würdiger Handlanger Spira war. Weil sie selber nicht glaubten, daß ihnen das gleiche Schicksal zuteil werden könnte wie allen anderen, fanden sie es richtig, die Gettobewohner im unklaren zu halten. Und doch erfuhr man im Getto die Wahrheit.
Acht Tage nachdem er auf dem Bahnhof Prokocim eingeladen worden war, kam der junge Drogist Bachner ins Getto zurück. Wie ihm das gelungen war und warum er ausgerechnet an einen Ort zurückkehrte, von wo die SS ihn wiederum auf Transport schicken würde, wußte niemand zu sagen. Es zog ihn wohl dahin zurück, wo er sich schon auskannte.
Der also erzählte, was er gesehen hatte, und er wirkte immer noch völlig verstört. Sein Haar war in diesen wenigen Tagen weiß geworden. Die Krakauer Juden, so berichtete er, die Anfang Juni verladen worden waren, wurden ins Lager Belzec geschafft. Ukrainische Wachmannschaften trieben sie mit Knüppeln aus den Waggons. Es stank fürchterlich, doch erklärte man das mit Desinfektionsmaßnahmen. Die Ankömmlinge wurden vor zwei Lagerhäusern aufgestellt, eines mit der Aufschrift GARDEROBE, das andere mit der Aufschrift WERTSACHEN. Sie mußten sich ausziehen und bekamen Bindfäden, mit denen sie ihr Schuhwerk zusammenbinden mußten. Brillen und Ringe wurden auch weggenommen.
Die nackten Gefangenen wurden alsdann geschoren; das Haar sollte für irgendwelche U-Bootausrüstungen dienen und würde ja wieder nachwachsen, hieß es. Sodann wurden die Opfer zwischen Stacheldrahtzäunen den Bunkern zugetrieben, auf denen man kupferne Davidsterne befestigt und die Aufschrift BÄDER UND INHALATIONSRÄUME angebracht hatte. Dort wurden sie vergast. Die Leichen wurden anschließend von besonderen Kommandos entfernt und in Gruben geworfen. Zwei Tage hatte es gedauert, bis alle tot waren. Er selber hatte sich in eine Latrine retten können und, bis zum Hals in Exkrementen stehend, überlebt. Bei Nacht war es ihm gelungen, aus dem Lager zu entkommen. Das gelang wohl nur, weil er nicht mehr bei Verstand gewesen war. Er ging am Bahndamm zurück, woher er gekommen war, wurde unterwegs von irgendeiner mitleidigen Seele - er wußte davon nichts mehr - gewaschen und neu eingekleidet.
Bachners Bericht wurde nicht von allen geglaubt. Hatten nicht Häftlinge aus Auschwitz an ihre Verwandten hier geschrieben? Dort konnte es also nicht so sein wie in Belzec. Und war denn das alles glaubhaft?
Schindler bekam heraus, daß die Gaskammern von Belzec im März 1942, von einer Hamburger Baufirma und Ingenieuren der SS aus Oranienburg fertiggestellt worden waren.
Bachners Bericht nach zu urteilen, konnten dort täglich 3000 Menschen
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