Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schindlers Liste

Schindlers Liste

Titel: Schindlers Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Keneally
Vom Netzwerk:
berühmte Lied ‘Ss brent, Brider, ‘ss brent!
    stammte, und auch der sanftmütige Maler Neumann. Immer wieder kamen Ärzte aus dem Hospital und verlangten Verbandszeug für die Verwundeten, die sie auf den Straßen auflasen, auch Brechmittel, denn mindestens ein Dutzend Leute hatte Zyankali geschluckt.Dr. Schindel, der im Gettokrankenhaus Ecke Wegierskastraße arbeitete, hörte von einer Frau, daß man die Kinder wegführe. Sie habe sie in der Krakusastraße gesehen, auch Genia. Schindel hatte Genia bei Nachbarn gelassen — solange ihre Eltern sich auf dem Lande verborgen hielten, war er für sie verantwortlich. Genia, die sehr selbständig war, hatte heute früh einen Besuch in dem Haus gemacht, in dem sie jetzt bei ihrem Onkel wohnte. Dort war sie aufgegriffen worden, und dann hatte Schindler sie von der Anhöhe aus gesehen.
    Dr. Schindel zog seinen Kittel aus und eilte auf den Platz, wo er Genia gleich sah; sie saß zwischen Wachmannschaften im Gras, augenscheinlich unbeteiligt. Das war, wie Dr. Schindel wußte, eine Pose, denn er stand des Nachts oft auf, um sie aus ihren Alpträumen zu wecken.
    Er bewegte sich am Rande des Platzes auf sie zu, und sie sah ihn. Er wünschte mit aller Kraft, sie möge ihn nicht anrufen, niemand auf ihn aufmerksam machen, denn das konnte für beide schlecht enden. Doch er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen: Sie sah gleich wieder weg, stumm und wie unbeteiligt. Es zerriß ihm fast das Herz: Schon mit drei Jahren wußte sie, daß es gefährlich war, einem Impuls nachzugeben, den Onkel anzurufen und sich von ihm trösten zu lassen. Sie wußte, daß es besser war, die SS nicht auf ihn aufmerksam zu machen.
    Dr. Schindel überlegte, ob er den Oberscharführer ansprechen sollte, der an der Mauer stand, und was er ihm sagen wollte. Es war immer das beste, sich in einem solchen Fall an den Ranghöchsten zu wenden und nicht zu bescheiden aufzutreten. Er schaute wieder zu Genia und sah, daß sie zwischen zwei Bewachern hindurch aus der Absperrung schlüpfte und sich sehr gemächlich entfernte. Die Langsamkeit ihrer Bewegungen prägte sich seinem Gedächtnis besonders ein, er sah dieses Bild später oft bei geschlossenen Augen: das kleine rotgekleidete Mädchen zwischen den blinkenden schwarzen Stiefeln. Niemand achtete auf sie. Sie behielt ihren langsamen, wie abwesenden Gang bei bis zu Pankiewicz’ Apotheke und verschwand dort um die Ecke. Dr. Schindel hätte am liebsten laut bravo gerufen; ihr Auftritt verdiente ein Publikum, das allerdings ihr Verderben bedeutet hätte.
    Keinesfalls durfte er ihr sogleich folgen. Er vertraute darauf, daß der Instinkt, der sie bisher geleitet hatte, sie in ein sicheres Versteck führen würde, und kehrte ins Krankenhaus zurück.
    Genia ging in das zur Krakusastraße gelegene Zimmer, das sie jetzt mit ihrem Onkel bewohnte. Die Straße lag verlassen; sollte sich noch jemand verborgen halten, wagte er sich noch nicht ins Freie. Sie versteckte sich unterm Bett. Dr. Schindel sah von der Straßenecke her, daß die SS eine letzte Durchsuchung vornahm. Man fand Genia aber nicht. Sie rührte sich auch nicht, als er später selbst ins Zimmer kam. Allerdings wußte er, wo er sie zu suchen hatte; er sah eine rote Stiefelspitze unter dem Bettüberwurf.
    Schindler hatte derweil die Pferde zurückgebracht und nicht gesehen, wie das kleine Mädchen in Rot in das Haus zurückkehrte, von dem sie fortgeführt worden war. Er saß bereits in seinem Büro in der DEF, hatte sich eingeschlossen, war außerstande, jemandem zu sagen, was er mit angesehen hatte. Sehr viel später hat Schindler dann in einer so ernsten und nachdrücklichen Weise, wie man sie diesem Lebemann kaum zugetraut hätte, erklärt: »Seit damals mußte jedem denkenden Menschen klar sein, was geschehen würde. Und ich nahm mir fest vor, das zu verhindern, soweit es in meiner Macht stand.«
    Kapitel 16
    Die SS setzte ihre Arbeit im Getto bis zum Abend des Samstags fort. Sie ging überall mit der Gründlichkeit vor, die Schindler bei den Erschießungen in der Krakusastraße beobachtet hatte. Allerdings wußte niemand, wann sie sich welche Straßen vornehmen würde, und wer am Freitag noch entwischt war, wurde am Samstag festgenommen. Genia überlebte die Woche, weil sie es verstand, sich still zu verhalten und sich trotz ihrer roten Kleidung unsichtbar zu machen.
    Schindler glaubte nicht, daß die Kleine in Rot die Aktion überlebt haben könnte. Von Toffel und anderen Bekannten bei der Polizei

Weitere Kostenlose Bücher