Schindlers Liste
Gespräch mit diesem jungen Mann wurde sie wieder zum koketten jungen Mädchen. Er wolle mit ihrer Mutter sprechen, sagte Bau. »Ich habe keine Mutter.« »Dann eben mit der Barackenältesten.«
Es wurde also eine richtige Werbung, mit Zustimmung und unter Aufsicht der älteren Frauen, ganz als habe man jede Menge Zeit zur Verfügung. Nicht einmal zu küssen versuchte er Rebecca. Dazu kam es ganz zufällig, noch dazu in der Villa des Kommandanten. Dort sollte der Oberstock umgebaut werden und war deshalb im Moment nicht bewohnt. Rebecca wusch hier nach einer Sitzung mit Göth ihre Unterwäsche in ihrem Eßnapf, und Bau hatte da irgendwelche Vermessungen vorzunehmen. Hier waren sie also ein Weilchen miteinander allein.
In Plaszow gab es selbstverständlich andere Liebesaffären, auch solche, in die SS-Leute verwickelt waren. Oberscharführer Hujer zum Beispiel, der Dr. Rosalia Blau und>Diana Reiter erschossen hatte, verliebte sich in eine Jüdin. Madritschs Tochter war in einen jungen Juden aus dem Getto von Tarnow verliebt, der in der Fabrik ihres Vaters in Tarnow gearbeitet hatte und jetzt in Plaszow war. Hier durfte sie ihn besuchen, aber das war auch alles. Die Gefangenen konnten sich miteinander zwischen den Maschinen verkriechen, doch für Fräulein Madritsch und den von ihr geliebten jungen Mann galten nicht nur die Rassengesetze, sondern auch die ungeschriebenen Gesetze des Lagers, die intimere Beziehungen zwischen den beiden nicht zuließen. Selbst der unscheinbare Raimund Titsch hatte sich in eine seiner Näherinnen verliebt. Und auch daraus konnte nichts werden.
Oberscharführer Hujer erhielt den dienstlichen Befehl, den Unfug mit seiner Jüdin gefälligst zu lassen, und auf einem Spaziergang im Wald schoß er sie mit aufrichtigem Bedauern tot.
Überhaupt schienen solche Regungen, wurden sie von SS-Leuten verspürt, unter keinem guten Stern zu stehen. Henry und Leopold Rosner, der Geiger und der Ziehharmonikaspieler, die bei Göths Gesellschaften aufspielen mußten, wurden Zeugen eines einschlägigen Vorganges. Göth hatte eines Abends einen schon grauhaarigen schlanken Offizier der Waffen-SS zu Gast, der von Rosners einen ungarischen Schlager mit dem Titel Düsterer Sonntag hören wollte.
Der handelte von einem jungen Mann, welcher sich einer unglücklichen Liebe wegen umbringen will. Es lag genau jene Art von Sentimentalität darin, für welche nach Rosners Beobachtungen SS-Leute in ihrer Freizeit anfällig waren.
In den dreißiger Jahren war dieser Schlager ungemein populär gewesen, er hatte sogar zu einer kleinen Selbstmordepidemie geführt, weshalb die ungarische, die tschechische und die polnische Regierung erwogen, ihn zu verbieten, und in Deutschland durfte er ebenfalls nicht gespielt werden. Und nun verlangte dieser SS-Führer, der alt genug war, selber Kinder in dem Alter zu haben, in dem sie sich zum ersten Mal verlieben, immer wieder diesen Düsteren Sonntag zu hören.
Für Henry Rosner besaß Musik seit je etwas Magisches, und niemand verstand ihre Macht besser einzuschätzen als ein Krakauer Jude wie Rosner, der aus einer Familie stammte, in der man Musik weniger erlernte als ererbte, und ihm schoß der Gedanke durch den Kopf: Vielleicht habe ich Kraft genug, diesen Mann mit meinem Spiel zum Selbstmord zu treiben.
Er legte also alles in sein Spiel, was er aufbieten konnte, wobei er allerdings fürchten mußte, daß der in gewissen Dingen sehr empfindliche Göth ihn durchschauen und der Sache ein Ende machen könnte.
Eigentlich war es verwunderlich, daß er sich die mehrfache Wiederholung dieses Stückes nicht bereits verbeten hatte. Als der Gast sich erhob und auf den Balkon ging, wußte Henry, daß er alles in seiner Macht Stehende getan hatte, und wechselte, wie um seine Spuren zu verwischen, auf der Stelle zu Suppe und Lehar über. Der Gast blieb eine Weile auf dem Balkon und verdarb dann den anderen Anwesenden die Laune, indem er sich eine Kugel in den Kopf schoß.
So also sahen die Beziehungen der Geschlechter zueinander in Plaszow aus: Läuse und ständiger Zeitdruck innerhalb des Stacheldrahts; Mord und Wahnsinn außerhalb. Und mittendrin Josef Bau und Rebecca Tannenbaum, die eine altmodische Romanze aufführten.
Im Winter veränderte sich der Status des Lagers in einer Weise, die sich unter anderem für alle Liebespaare ungünstig auswirkte.
Anfang Januar 1944 wurde es zum Konzentrationslager erklärt und unterstand fortan samt seinem Nebenlager Emalia der Befehlsgewalt
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