Schindlers Liste
die Front bei Lemberg und beförderten auf dem Rückweg Häftlinge, die von Ärzten der SS auf den Rampen selektiert wurden.
Kapitel 29
Der Sommertag war heiß und windstill, die Fenster im Büro des Lagerkommandanten weit geöffnet. Schindler kam es so vor, als wäre die Besprechung, an der er hier mit Madritsch und Bosch teilnahm, eine Posse. Immer wieder blickten die Herren aus den Fenstern zu den mit Steinen beladenen Loren hin, die von Häftlingen geschoben wurden, sahen den Fahrzeugen nach, die am Hause vorüberfuhren. Einzig John, der eine Art Protokoll führte, saß straff aufgerichtet und hatte den obersten Uniformknopf geschlossen.
Angeblich ging es bei dieser Sitzung um Fragen der Sicherheit. Die Front halte zwar, behauptete Göth, doch habe im gesamten Generalgouvernement die Partisanentätigkeit zugenommen, seit die Rote Armee vor Warschau stehe. Man müsse damit rechnen, daß Juden mehr als bisher zu flüchten versuchten. Sie wüßten eben nicht, wie gut sie es hier hinter dem Stacheldraht hätten, wo sie vormordlüsternen antisemitischen polnischen Banditen geschützt wären. Doch wie auch immer, jedermann müsse sich der drohenden Gefahr von Aktionen der Partisanen bewußt sein, schlimmer noch, einer geheimen Zusammenarbeit von Häftlingen mit Partisanen.
Schindler versuchte, sich vorzustellen, wie die Partisanen nach Plaszow kämen und aus den Häftlingen eine Kampfgruppe machten. Ein Wunschtraum. Wer konnte schon daran glauben?
Und Göth versuchte, ihnen einzureden, daß er jedenfalls genau dies tat. Damit verfolgte er einen Zweck, dessen war Schindler gewiß.
»Ich hoffe, ich bin nicht gerade hier zu Besuch, wenn die Partisanen kommen«, bemerkte Bosch nur.
»Amen«, stimmte Schindler zu.
Nach der Sitzung führte Schindler den Kommandanten zu seinem Wagen, öffnete den Kofferraum und zeigte ihm einen herrlich gearbeiteten Sattel mit den in der Tatra üblichen Verzierungen. Auch jetzt noch mußte er Göth Geschenke machen, zumal er die Miete für seine Arbeiter nicht mehr an ihn abführte, sondern an den Beauftragten von Obergruppenführer Pohl in Krakau.
Schindler erbot sich, Göth samt Sattel in seine Villa zu fahren. An diesem heißen Tag zeigten die Lorenschieber nicht ganz so viel Eifer, wie von ihnen erwartet wurde, doch Göth war durch das prächtige Geschenk milde gestimmt, und auch wenn er gewollt hätte, er durfte nicht mehr ohne weiteres Häftlinge erschießen, die sich für seinen Geschmack nicht genügend anstrengten. Der Wagen rollte an den Unterkünften des Wachpersonals vorüber bis zum Anschlußgleis. Über den Dächern der hier haltenden Viehwagen waberte die Hitze. Die Türen waren zugeschoben, die Waggons augenscheinlich besetzt, denn trotz des Fauchens der Lok hörte man aus dem Inneren Stöhnen und Wimmern. Schindler hielt an und horchte. In Anbetracht des Sattels war ihm das gestattet. Göth lächelte seinen Freund nachsichtig an. »Da sind auch welche aus Plaszow drin«, sagte er. »Und Polen und Juden aus Montelupich. Die sind für Mauthausen bestimmt. Die denken jetzt schon, sie haben was auszustehen, aber die werden sich noch wundern…«
Schindler betrachtete die heißen Waggondächer. »Sie haben doch wohl nichts dagegen, wenn ich die Feuerwehr alarmiere?« fragte er. Göth lachte, als wolle er sagen: was denn noch?
Selbstverständlich werde er niemand erlauben, die Feuerwehr zu alarmieren, aber bei Schindler wolle er mal eine Ausnahme machen, denn Schindler sei eben ein komischer Kauz, und das Ganze gebe eine gute Anekdote ab.
Als Schindler einem Ukrainer auftrug, die Feuerwehr zu alarmieren, wurde Göth allerdings nachdenklich. Er wußte, daß Schindler wußte, was Mauthausen bedeutete. Wer jetzt die Viehwagen mit Wasser besprengen ließ, weckte in den darin Eingesperrten Hoffnungen, die er nicht erfüllen konnte, und das war, richtig betrachtet, eine Grausamkeit. Aber nun wurden schon die Schläuche entrollt und angeschlossen, die ersten Wasserstrahlen verzischten auf dem Blech der Dächer. Göth wurde zwischen Unglauben und Belustigung hin und her gerissen.
Neuschel trat zu der Gruppe und schüttelte ebenfalls verblüfft den Kopf. Aus den Viehwagen drang erleichtertes Seufzen. Doch die Reichweite der Schläuche war ungenügend, sie konnten nur die Hälfte der Waggons bestreichen. Also forderte Schindler von Göth, er möge einen Lastwagen zur Emalia um die dortigen Feuerwehrschläuche schicken. Göth wollte sich ausschütten vor Lachen.
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