Schindlers Liste
Kaltenbrunner.
Im April kam ein Schreiben von Gerhard Maurer, der für die Zuteilung von Arbeitskräften durch die Konzentrationslager zuständig war. Maurer wollte wissen, wie viele Ungarn vorübergehend vom Lager Plaszow aufgenommen werden könnten.
Die für die DAW (Deutsche Ausrüstungswerke, eine Krupptochter, die in Auschwitz Granatzünder fertigte) bestimmten ungarischen Juden, die erst nach der Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen eingefangen worden waren, hatten nicht wie andere Juden unter jahrelangen Entbehrungen in deutschen Lagern zu leiden gehabt und waren deshalb in wesentlich besserem Gesundheitszustand, als Arbeitskräfte in Auschwitz deshalb hochwillkommen. Nur konnte man sie noch nicht unterbringen. Die Amtsgruppe D wäre daher dem Kommandanten von Plaszow sehr verbunden, falls er sie vorübergehend aufnehmen wolle.
Göth schrieb zurück, Plaszow sei voll belegt, innerhalb der Umzäunung sei kein Platz mehr, doch wolle er vorübergehend bis zu 10 000 Häftlinge aufnehmen, falls man ihm gestatte a) unproduktive Elemente innerhalb des Lagers zu liquidieren und b) gleichzeitig die Doppelbelegung der Pritschen in den Baracken anzuordnen.
Maurer erwiderte, wegen der im Sommer erhöhten Typhusgefahr könne die Doppelbelegung nicht erlaubt werden, überhaupt sähen die Richtlinien pro Häftling drei Kubikmeter Raum vor, doch mit Punkt a) in Göths Vorschlag sei er einverstanden. Die Amtsgruppe D werde Auschwitz-Birkenau anweisen, sich auf die Sonderbehandlung der in Plaszow ausgesuchten Häftlinge vorzubereiten. Auch werde der benötigte Transportraum auf der Ostbahn bereitgestellt. Göth mußte folglich eine Selektion unter seinen Häftlingen vornehmen. Mit Einwilligung der Amtsgruppe D würde er an einem einzigen Tage so viele Menschen der Ermordung zuführen, wie Schindler unter Aufwendung all seiner Phantasie und unter Einsatz seines privaten Vermögens im Nebenlager Emalia beherbergte.
Die Selektion wurde als Gesundheitsaktion deklariert und begann am Morgen des 7. Mai, einem Sonntag.
Der Appellplatz war mit Transparenten geschmückt, auf denen zu lesen stand: JEDEM HÄFTLING EIN ANGEMESSENER ARBEITSPLATZ, aus Lautsprechern
erklangen muntere Weisen. An einem langen Tisch amtierte der SS-Arzt Blancke, unterstützt von Dr. Leon Gross und etlichen Lagerschreibern. Blancke hatte eine ganz eigene Auffassung von Gesundheit. Das Krankenrevier war von allen chronischen Fällen geräumt worden, indem man ihnen Benzol injizierte.Das war nicht etwa ein »Gnadentod«, sondern die Opfer verfielen in Krämpfe und erstickten qualvoll nach etwa einer Viertelstunde. Marek Biberstein, ehedem Vorsitzender des Judenrates, zählte auch zu denen, die »abgespritzt« werden sollten, denn er hatte einen Herzanfall erlitten. Doch wurde ihm dieser qualvolle Tod durch Dr. Idek Schindel erspart, dem Onkel jenes Rotkäppchens, das Schindler zwei Jahre zuvor im Getto beobachtet hatte. Er vergiftete Biberstein rechtzeitig mit Zyankali.
Blancke nahm die Häftlinge barackenweise vor; neben ihm auf dem Tisch war die Lagerkartei aufgebaut. Die Gefangenen mußten sich auf dem Appellplatz völlig ausziehen und an dem Tisch mit den beiden Ärzten vorüberlaufen, die ihre körperliche Verfassung prüften und entsprechende Vermerke in die Karteikarten eintrugen. Es war eine sonderbare und entwürdigende Prozedur. Männer und Frauen gaben sich die größte Mühe, gesund zu wirken, sie liefen da um ihr Leben, und sie wußten es auch. Die junge Frau Kinstlinger, die bei der Olympiade in Berlin für Polen gestartet war, befand sich ebenfalls unter den weiblichen Häftlingen; aber hier ging es nicht mehr um Medaillen, sondern ums bloße Überleben, das war die wahre Prüfung.
Das Resultat der Inspektion erfuhren die Häftlinge erst am folgenden Sonntag, als die Belegschaft des Lagers erneut unter den Klängen von Lautsprechermusik auf dem Appellplatz versammelt wurde.
Die Ausgesonderten wurden am östlichen Rand des Platzes aufgestellt, und es kam dabei zu Tumulten. Göth hatte schon so etwas erwartet und Wehrmachtverstärkung angefordert, falls die Häftlinge offen rebellieren sollten. Am vergangenen Sonntag waren mehr als 300 Kinder entdeckt worden, die nicht aktenkundig waren, und als man die nun ihren protestierenden Eltern wegnahm, entstand ein Tumult, dessen die Soldaten, verstärkt durch Sicherheitspolizei aus Krakau, nur mit Mühe Herr wurden.
Es dauerte Stunden, bis man die beiden Gruppen voneinander getrennt hatte. Zwar
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