Schindlers Liste
trinken.
Falls dies stimme, sagte Schindler, dann könnten Deutsche wie er, ganz gewöhnliche Menschen, damit anfangen, ihre Schuld zu tilgen. Bloß weil endlich mal jemand in seiner näheren Umgebung den Schneid aufgebracht habe, Hitler zu töten. Das ist das Ende der SS, sagte Schindler. Morgen früh sitzt Himmler hinter Gittern.
Er blies Zigarettenrauch von sich. »Oh, mein Gott, was für eine Erlösung, das Ende dieses Regimes noch mitzuerleben!«
Um 22 Uhr wurde die Meldung wiederholt. Auf den Führer sei ein Attentat verübt worden, doch sei es mißlungen. Der Führer werde in wenigen Minuten selber sprechen. Als eine weitere Stunde vorüber war, erging sich Schindler in Wunschträumen wie viele Deutsche gegen Kriegsende. »Das Schlimmste ist vorbei. Die Welt ist wieder im Geleise. Deutschland kann sich mit den Westmächten gegen die Russen verbünden.«
Gardes Hoffnungen waren bescheidenerer Art — ein Getto etwa nach Art der Gettos zu Zeiten Franz Josephs. Und während die Zeit verging, Musik aus dem Lautsprecher quoll, wurde es mehr und mehr wahrscheinlich, daß Europa jener Tod beschert werden würde, ohne den die Vernunft nicht zur Herrschaft kommen konnte. Sie fühlten sich als Bürger dieses Erdteils, nicht mehr als der Häftling und der Herr Direktor. Immer wieder hieß es, der Führer werde gleich sprechen, und von Mal zu Mal lachte Schindlet höhnischer. Als Mitternacht heranrückte, achteten sie schon nicht mehr auf die Ansage, welche Hitlers Rede in Aussicht stellte.
Es atmete sich in diesem Krakau post Hitler bereits leichter. Am Morgen würde auf Straßen und Plätzen getanzt werden, die Wehrmacht würde Frank im Wawel festnehmen, die SS in der Pomorskastraße einschließen.
Kurz vor ein Uhr hörten sie Hitler aus Rastenburg. Schindler war so fest davon überzeugt, daß er diese Stimme nie wieder würde hören müssen, daß er sie nicht gleich erkannte, aber Garde hörte die Rede vom ersten Wort an und wußte genau, wer da sprach.
»Deutsche Volksgenossen und -genossinnen! Wenn ich heute zu Ihnen spreche, dann geschieht es aus zwei Gründen: erstens, damit Sie meine Stimme hören und wissen, daß ich selbst unverletzt bin und gesund, und zweitens, damit Sie aber auch das Nähere erfahren über ein Verbrechen, das in der deutschen Geschichte seinesgleichen sucht.«
Vier Minuten später endete die Ansprache mit einem Hinweis auf das, was den Verschwörern bevorstand: »Diesmal wird nun so abgerechnet, wie wir das als Nationalsozialisten gewohnt sind.«
Garde hatte Schindlers Hoffnungen nicht ganz geteilt. Er sah in Hitler mehr als nur einen Menschen, er sah in ihm ein System mit vielen Verzweigungen. Nichts garantierte, daß das System sich nach seinem Tode ändern werde. Auch war es unwahrscheinlich, daß jemand wie Hitler von einer Stunde zur anderen zu existieren aufhörte.
Schindler hatte sich so in seine Wunschvorstellungen verrannt, daß Garde ihn trösten mußte, als die Seifenblase platzte. »Es ist nichts mit unserer Erlösung«, seufzte er. »Nehmen Sie die Flasche und Zigaretten mit und legen Sie sich schlafen. Wir müssen noch etwas länger auf unsere Befreiung warten.« Und er schob ihm die Flasche und seine Zigarettendose hin.
Garde fand es angesichts der verwirrenden Ungewißheit der vergangenen Stunden nicht weiter sonderbar, daß Schindler von»unserer Befreiung« sprach, als wären sie beide Gefangene, hätten die gleichen Bedürfnisse, müßten untätig darauf warten, befreit zu werden. Aber als er auf seiner Pritsche lag, fand er es denn doch sonderbar, daß der Direktor sich so seinen Phantasien und Depressionen überließ, er, der so ganz und gar Pragmatiker war.
Im Spätsommer brodelte es in der Pomorskastraße und in den Lagern um Krakau von Gerüchten, die von einer bevorstehenden Änderung im Status der Lager wissen wollten.
Schindler war beunruhigt. Göth erhielt unter der Hand einen Hinweis: Die Lager würden aufgelöst.
Die Sitzung beim Kommandanten, auf der er von der Bedrohung durch Partisanen sprach, hatte ihre Ursache tatsächlich schon in der bevorstehenden Auflösung des Lagers. Madritsch, Schindler und Bosch waren zum Kommandanten gerufen worden, weil dieser sich eines ganz bestimmten Vorhabens wegen Rückendeckung verschaffen wollte.
Sein nächster Zug war der Besuch bei Obergruppenführer Koppe, dem neuen SS-und Polizeiführer für das Generalgouvernement. Göth saß ihm an seinem Schreibtisch gegenüber und erweckte den Eindruck, sehr besorgt zu
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