Schindlers Liste
Kinder, die jungen Frauen mit den falschen Papieren, sie alle wurden nun verbrannt, wo man sie zuvor erschossen hatte, damit die Russen, wenn sie nach Plaszow kämen, nichts Belastendes vorfänden. Aus Oranienburg kam die Weisung, künftig schon rechtzeitig Vorbereitungen für die Beseitigung weiterer Opfer zu schaffen, und man schickte auch einen Fachmann aus Hamburg, der die Errichtung eines Krematoriums planen sollte. Bis zu dessen Fertigstellung war dafür zu sorgen, daß die Ermordeten an gut markierten Plätzen vergraben wurden.
Als Schindler bei seinem zweiten Besuch sah, welchen Umfang die Leichenverbrennungen auf der Anhöhe erreicht hatten, war sein erster Impuls, umzudrehen und heimzufahren. Statt dessen suchte er Bekannte in den Werkstätten auf und ging anschließend zu Stern in dessen Büro. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn im Lager angesichts des Qualms und der rieselnden Asche eine Selbstmordepidemie ausgebrochen wäre. Aber es schien, als sei von allen er der Deprimierteste. Er fragte Stern, wie die Stimmung sei. Stern sagte, die Stimmung sei unverändert. »Häftlinge bleiben Häftlinge. Sie tun ihre Arbeit und hoffen, daß sie mit dem Leben davonkommen.«
»Ich hole euch hier raus«, sagte Schindler unvermittelt und ballte die Hand zur Faust. »Ich hole euch hier raus, und zwar alle!«
»Alle?« zweifelte Stern. Das wäre eine Rettungsaktion biblischen Ausmaßes, und die paßte nicht in die Zeit.
»Mindestens Sie«, sagte Schindler. »Sie auf alle Fälle.«
Kapitel 28
Der Kommandant hatte zwei Stenotypisten zur Verfügung, eine deutsche Zivilangestellte und einen gelehrigen jungen Häftling namens Mietek Pemper. Pemper wurde später Schindlers Privatsekretär, aber im Sommer 1944 war er noch bei Göth und machte sich keine großen Hoffnungen, was sein eigenes Los betraf. Pemper schrieb blind Schreibmaschine, konnte polnisch und deutsch stenografieren.
Er hatte das sprichwörtliche Elefantengedächtnis. Dies alles machte ihn für Göth brauchbar, und er arbeitete teils in der Lagerverwaltung, teils in Göths Villa. Es mutet wie eine Ironie an, daß Pempers phänomenales Erinnerungsvermögen mehr als die Aussagen anderer Zeugen dazu beitrug, daß Göth in Krakau gehängt wurde. An eine solche Möglichkeit dachte Pemper damals nicht, und hätte man ihn gefragt, wer wohl das Opfer des Pemperschen Gedächtnisses werden würde, so hätte er sich selbst genannt.Vertrauliche Korrespondenz sollte eigentlich von der deutschen Zivilangestellten erledigt werden, doch weil die weniger tüchtig und vor allem nicht so schnell war wie Pemper, diktierte Göth gelegentlich diesem auch geheimhaltungsbedürftige Korrespondenz.
Und Pemper konnte sich dabei zweier Gedanken nur schwer erwehren: Was er da an vertraulichen Einzelheiten erfuhr und sich einprägte, würde ihn zu einem ergiebigen Zeugen machen, falls er und Göth sich jemals vor Gericht wiedersehen sollten und, zweitens, aus eben diesem Grunde würde Göth ihn, bevor es dahin kam, unbedingt zum Schweigen bringen.
Pemper legte jeden Morgen nicht nur für sich Maschinen-, Kohle-und Durchschlagpapier zurecht, sondern auch für die deutsche Schreibkraft. Hatte diese ihre Arbeit erledigt, tat Pemper, als vernichte er das Kohlepapier, doch in Wahrheit legte er es beiseite und las es.
Notizen machte er sich nicht, er besaß ja sein berühmtes Gedächtnis. Er wußte, daß der Kommandant verblüfft sein würde über seine präzisen Erinnerungen, falls es je zu dem von Pemper erträumten Prozeß käme.
Es kamen ihm dabei erstaunliche Dinge vor Augen, so etwa die Anweisungen betreffend die Auspeitschung von Frauen. Die Kommandanten wurden daran erinnert, daß diese mit maximaler Wirkung zu geschehen habe. SS-Personal dürfe dazu nicht verwendet werden, das wäre ehrenrührig, vielmehr sollten weibliche Häftlinge von anderen weiblichen Häftlingen geschlagen werden, so etwa Tschechinnen von Slowakinnen, Russinnen von Polinnen und vice versa. Man möge sich den Haß zwischen den unterschiedlichen Nationalitäten zunutze machen. Dann wieder wurden sie darauf hingewiesen, daß sie nicht das Recht hatten, die Todesstrafe zu verhängen oder zu vollziehen. Todesurteile seien per Telegramm oder Brief an das Reichssicherheitshauptamt zu melden und dessen Bestätigung abzuwarten. Göth hatte telegrafisch darum ersucht im Falle zweier Juden, die aus dem Nebenlager Wieliczka geflohen waren, und die Bestätigung umgehend erhalten, unterzeichnet von
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