Schismatrix
Alpha-Zustand.«
»Natürlich.«
»Hast du jemals Träume?«
»Wir haben unsre Vision. Wir können die neuen Technologien erkennen, durch die menschliches Leben zersetzt und gespalten wird. Und wir stürzen uns in diese Entwicklungswirbel hinein. Möglich, daß jeder von uns nur ein winziges Teilchen ist. Doch vereint, gemeinsam, bilden wir ein Sediment, ein Wehr, das den Strömungsverlauf bremst. Zahlreiche Entdecker und Neurer sind zutiefst unglückliche Menschen. Aber wenn sie Zen-Serotonin erkannt haben, verliert sich ihr krankhafter neurotischer Zwang, im Leben herumzupfuschen.«
Lindsay lächelte verbissen. »Das war also kein Zufall, daß man dir meinen Fall zugewiesen hat.«
»Du bist ein zutiefst nicht-glücklicher Mann. Und das hat dir diesen ganzen Ärger auf den Hals gebracht. Das Nonmovement besitzt eine gewichtige Stimme im Harem. Schließ dich uns an! Wir können dich retten.«
»Ich kannte Glück und Seligkeit einmal, Greta. Du wirst sie nie kennenlernen.«
»Heftige Emotionen sind nicht unsere Stärke, Bela. Wir bemühen uns, die menschliche Rasse vor dem Untergang zu bewahren.«
»Na, dann viel Glück«, sagte Lindsay. Sie hatten die Endstation erreicht.
Der alte Akromegale trat zurück, um das Werk seiner Hände zu bewundern. »Sitzt der Straps richtig, Sundog? Kannst du atmen?«
Lindsay nickte. Die Killkrampe bohrte sich schmerzhaft in seine Schädelbasis.
»Das liest die Rückhirnfünktionen ab«, sagte der Riese. Durch die Wachtumshormone war sein Kiefer deformiert worden; er hatte den vortretenden Unterkiefer einer Bulldogge, und so kam seine Stimme nur verwaschen aus dem Maul. »Vergiß nicht, du mußt langsam dahinschlurfen. Keinerlei plötzliche hastige Bewegungen. Denk gar nicht erst dran, dich schnell zu bewegen, dann bleibt der Kopf ganz.«
»Wie lange bist du schon in dem Geschäft?« fragte Lindsay.
»Lang genug.«
»Gehörst du zum Harem?«
Der Riese funkelte ihn an. »Aber sicher. Ich bumse Carnassus, oder was hast du dir sonst gedacht?« Die Riesenhand umspannte Lindsays Gesicht völlig. »Haste schon mal deinen eignen Augapfel gesehen? Vielleicht zieh ich dir einen raus. Der CHEF kann dir dann 'nen neuen implantieren.«
Lindsay zuckte zurück. Der Riese grinste mit schlecht angeordneten Zähnen. »So'ne Typen wie dich, die hab ich schon mal erlebt. Du bist 'n Shaper-Antibiot. Dein Typ hat mich mal ausgetrickst, einmal. Vielleicht glaubste ja, du kannst die Krampe austricksen. Vielleicht meinste, du kannst den CHEF umbringen, ohne daß du dich bewegen mußt. Aber dann denk dran: Du mußt an mir vorbei, wenn du rauswillst.« Er packte Lindsay oben am Schädel und hob ihn vom Velcro hoch. »Oder vielleicht glaubst du ja auch, ich bin blöd.«
Lindsay sprach in Handelsjapanisch. »Spar's dir für die Huren auf, Yakuza {13} ! Oder vielleicht würde es deiner Exzellenz belieben, mir die Krampe da abzunehmen und es auf ein bißchen Handarbeit ankommen zu lassen.«
Der Riese lachte überrascht auf, dann stellte er Lindsay behutsam wieder auf den Boden. »Verzeih mir, Freund. Wußte nicht, daß du einer von uns bist.«
Lindsay stieg durch die Luftschleuse. Drinnen war die Lufttemperatur so hoch wie die seines Blutes. Es stank nach schweißvermischten Parfüms und roch daneben nach dem Duft von Veilchen. Das scheppernde Wimmern eines Synthesizers riß plötzlich ab.
Der Raum war prall voller Fleisch. Ja, er bestand ganz aus Fleisch: satinschimmernd braune Haut, stellenweise akzentuiert von Teppichen glitzernder schwarzer Haare und blaurosa Schleimhäuten. Alles war gekräuselt, verschnörkelt, gekrümmt: die Chaiselongues, eine runde Masse wie ein Bett aus Fleisch mit malvenrosa Löchern bedeckt. Unter Lindsay Füßen dröhnte Blut durch eine dickrohrige Arterie.
Wieder wand sich ein Lampengebilde mit einem Schirm wie eine Kobrahaube auf glatthäutigem Krangelenk in die Höhe. Dunkle Augen beobachteten ihn. Am glatten Stiel einer pilzförmigen Fußstütze an seiner Seite tat sich ein Mund auf und sprach: »Ziehe diese Velcrostiefel von deinen Füßen, Liebling. Sie kitzeln.«
Lindsay setzte sich. »Du bist das, Kitsune?«
»Das wußtest du doch, sobald du meine Augen im Büro von Wells gesehen hast«, sagte die Stimme aus der Wand schnurrend.
»Nein, gewußt habe ich das erst, ehrlich, als ich deinen Leibwächter sah. Ach, ist das lang her. Tut mir leid, das mit meinen Stiefeln.« Er setzte sich und zog sie vorsichtig aus, was ihm die Möglichkeit bot, das Schaudern zu
Weitere Kostenlose Bücher