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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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unerwartete Freude. Es gingen Gerüchte um, daß du unheilbar geistesgestört seiest. Offen gesagt, ich freute mich sehr über diese Nachricht. Abélard Mavrides, das Schoßhündchen der Investoren. Was ist aus deinen Juwelen und Kabeln geworden, Captain-Doktor?«
    »Ach, in dieser Zeit reise ich mit wenig Gepäck.«
    »Keine Theaterstücke mehr?« Wells zog eine Lade in seinem Werktisch auf und hob einen Humidor heraus. Aus der Dose bot er Lindsay eine feuchtgehaltene Zigarette an. Lindsay nahm sie dankbar an. »Theater ist außer Mode«, sagte er. Sie zündeten sich die Zigaretten an. Lindsay kämpfte erbarmenswürdig mit einem Hustenanfall.
    »Ich muß dich wohl ziemlich verärgert haben, Doktor, weißt du, damals auf dieser Hochzeitsfeier. Als ich da reinkam, um dir deine Studenten abzuwerben.«
    »Die waren überzeugte Ideologen, Wells, nicht ich. Ich machte mir im Gegenteil Sorgen um dich.«
    »Das wäre nicht nötig gewesen.« Wells blies Rauch aus und lächelte dann. »Dein Student Besetzny gehört jetzt zu uns.«
    »Er ist Detentist geworden?«
    »Unser Denken hat sich seit damals weiterentwickelt, Doktor. Diese alten Kategorien - Mechanisten, Shapers -, die sind doch inzwischen ein wenig aus der Mode, oder? Das Leben schreitet kladisch weiter, vielfach verästelt, nicht bifurkal.« Er lächelte wieder. »Eine Klade ist eine Tochterspezies, ein verwandter Nachfahre und Abkömmling. Derlei ist früher schon anderen erfolgreichen Tieren passiert, und nun sind eben die Menschentiere an der Reihe. Die Parteiungen kämpfen noch und strampeln sich noch ab, doch die Kategorien werden durchlässig und lösen sich auf. Keine Richtung kann mehr für sich in Anspruch nehmen, sie vertrete die eine und alleinseligmachende Bestimmung der Menschheit. Die Menschheit existiert nicht mehr.«
    »Du sprichst wie ein apokalyptischer Kataklysmatiker.«
    »Ach, da gibt es noch andere, die sind ebenso verrückt. Diese Leute an der Macht in den Kartellen, im Ring Council. Durch Haß den Blick für die Schismatrix verblenden, das ist eben leichter, als unsere artenspezifischen Potentiale zu akzeptieren. Unsere Missionen zu den Aliens waren Pleiten und ergebnislos, weil wir noch nicht einmal gelernt haben, anständig mit den Andersartigen, den Fremden umzugehen, die mit uns ein und dasselbe Urerbe gemeinsam haben. Wir zerfallen jetzt in Kladien. Wir müssen lernen, die Hände aufzumachen, loszulassen, wir müssen uns auf einer breiteren, fundamentaleren Grundlage neu zusammenfinden, zu sammenschließen.«
    »Aber wenn die Menschheit durchdreht und kaputtgeht, wer oder was könnte sie denn dann effektiv zusammenhalten oder neu vereinen?«
    Wells warf einen Blick auf seine Videowand und ließ mittels seines Fingerrings einen Brocken Nachrichten erstarren. »Hast du je etwas von ›Prigogin'schen Komplexitätsebenem‹ {12} gehört?«
    Lindsay verließ der Mut. »Ich hab mir nie viel aus Metaphysik gemacht, Wells. Eure religiösen Glaubensvorstellungen sind einzig eure Angelegenheit. Ich war mit einer Frau zusammen, die mich liebte, und ich hatte einen geschützten Platz zum Schlafen. Der Rest ist Theorie.«
    Wells betrachtete seine Wand. Druckzeilen rutschten undeutlich vorbei, es ging um einen Überläuferskandal auf Ceres. »Ach ja, deine Colonel-Professorin. Also, dabei kann ich dir nicht helfen. Da brauchst du einen Kidnapper, wenn du die von dort wegzaubern willst. Und den wirst du hier nicht finden. Vielleicht solltest du es mal auf Ceres oder Bettina versuchen.«
    »Meine Frau ist ziemlich halsstarrig. Genau wie du hat sie ihre Ideale. Uns kann nur der Frieden wieder zusammenführen. Und in unsrer Welt gibt es nur eine Quelle für Frieden: die Investoren.«
    Wells lachte kurz und bellend. »Noch immer die gleichen Slogans, Doktor?« Auf einmal sprach er in stockendem Investorisch weiter. »Deine Argumentation hat stark an Gewicht verloren.«
    »Die Leute haben ihre Schwachpunkte, Wells.« Seine Stimme wurde lauter. »Meinst du, ich sei weniger verzweifelt als diese Kataklysmatiker? Frag doch deinen Freund Ryumin mal danach, ob ich Schwäche nicht erkenne, wenn sie mir begegnet, oder ob es mir an der Bereitschaft mangelt, sie auszunutzen. Der Frieden der Investoren: gewiß, ich habe dabei mitgewirkt. Das verschaffte mir, was ich haben wollte. Ich war ein heiler, ganzer Mensch. Du kannst nicht wissen, was das für mich bedeutete ...« Er brach ab. Trotz der Kälte schwitzte er.
    Wells wirkte bestürzt. Auf einmal wurde es Lindsay

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