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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Abgrund.

 
DRITTER TEIL
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    Kladokinese {14}
     

8. Kapitel
     
    THE NEOTENIC CULTURAL REPUBLIC: 17-6-'91
     
    Die Träume waren angenehm. Träume von Wärme und Helligkeit. Ein tierhaftes Leben. Ewige Gegenwart.
    Das Bewußtsein kehrte als prickelnder Schmerz zurück, wie wenn das Blut wieder in ein langes taubes Bein zurückströmt. Er mühte sich ab, sich wieder in sich selbst zu vereinen, die Bürde des Lindsay-Seins wieder auf sich zu nehmen, und der Schmerz dabei zwang ihn, die Nägel ins Gras zu krallen. Er schaufelte Erde auf seine nackte Haut.
    Um ihn herum brüllte das Chaos: die Realität in ihrer allergröbsten Urgestalt - ein summender blindmachender Wirrwarr. Er lag flach auf dem Rücken im Gras und keuchte. Über ihm gewann die Welt gleitend an Schärfe: grünes Licht, weißes Licht, eine braune Umrahmung aus Zweigen. Die Festigkeit kehrte in seine Welt zurück. Er sah einen frischen Wedel sich verzweigender Ästchen und Blätter: eine Form von dermaßen phantastischer Schönheit, daß er von ehrfürchtiger Scheu überwältigt wurde. Er rollte sich auf den Bauch und schob sich auf den rauhen Stamm zu. Sein nacktes Fleisch glitt durch das glatte Gras. Er warf die Arme um den Baumstamm und preßte die bärtige Wange an die Rinde.
    Ekstase erfaßte ihn. Er drückte das Gesicht gegen den Baum und schluchzte heftig. Der tiefe visionäre Raptus ließ ihn fast zerspellen. Als seine Seele sich wieder zusammenfügte, loderte er vor Erkenntnis und fühlte ein glühendglutendes Einssein mit diesem Lebewesen - dem Baum.
    Während er in die gelassene Vollkommenheit der Pflanze einging, durchströmte ihn eine überschwengliche Freude.
    Als er um Hilfe rief, reagierten zwei junge Shapers in weißen Klinikkitteln auf das schluchzende Schreien. Sie ergriffen ihn an den Armen und halfen ihm, taumelnd über das Gras und durch den steinernen Torbogen der Klinik zu gehen.
    Lindsay litt an einer Sprachstörung. Seine Gedanken waren klar, aber die dazugehörigen Worte wollten sich nicht einstellen. Er erkannte das Gebäude wieder. Es war das Landhaus des Tyler-Clans.
    Er war wieder in der Republik. Er hätte gern mit den Pflegern gesprochen, sie gefragt, wie er denn hierher zurückgekommen sei, aber sein Gehirn brachte es nicht fertig, sein Vokabular in die richtige Reihenfolge zu ordnen. Die Worte zögerten schmerzhaft sozusagen auf der Zungenspitze, aber knapp außerhalb seiner Reichweite.
    Sie führten ihn durch eine Eingangshalle voller Meßblätter und glasversiegelter Schaustücke. Der linke Flügel des Landhauses, wo eine Flucht von Schlafzimmern lag, war bis auf das glattpolierte Holz leergemacht worden und strotzte nun von medizinischen Apparaturen und Geräten. Lindsay starrte dem Mann zu seiner Linken hilflos ins Gesicht. Der Mann hatte die graziöse Geschmeidigkeit des Shapers und den festen Blick eines Superhellen.
    »Ihr seid ...«
    »Nur ruhig, Freund. Du bist in Sicherheit. Die Ärztin ist schon unterwegs.« Lächelnd hüllte er Lindsay in ein weitärmeliges Klinikhemd und verschnürte dieses am Rücken geschickt und rasch mit einer Vielzahl von Knoten. Dann setzten sie ihn unter einen von der Decke hängenden Zerebralscanner. Der andere Wärter reichte ihm eine Inhalationsmaske.
    »So, das schnüffelst du jetzt einmal schön rein, Cousin. Das ist markierte Glukose. Mit Radio-Isotopen. Für den Scanner.« Der Superhelle klatschte liebevoll auf die Kuppelhaube der Maschine. »Wir müssen dich durchchecken. Ich meine, wirklich bis runter in den Kern .«
    Lindsay schnüffelte gehorsam am Inhalator. Es roch süß. Der Scanner senkte sich surrend an seiner Halterungs-Zahnschiene und schmiegte sich um Lindsays Cranium.
    Eine Frau kam herein. Sie trug einen hölzernen Instrumentenkasten. Und am Körper einen losen Ärztekittel, einen kurzen Rock und schmuddelige Plastikstiefel. »Hat er was gesagt?« fragte sie.
    Lindsay erkannte ihre Gen-Linie. »Juliano«, brachte er unter Schwierigkeiten hervor.
    Sie lächelte ihn an. Als sie ihren Holzkasten öffnete, quietschten die antiken Scharniere. »Ja, Abélard«, sagte sie und gab ihm den Blick .
    »Margaret Juliano«, sagte Lindsay. Er konnte sich den Blick nicht so recht interpretieren, und diese Unfähigkeit versetzte ihm einen plötzlichen kleinen Revitalisationsstoß, gemischt aus Energie und Furcht. »Aber die Kataklysmatiker, Margaret. Die haben dich doch auf Eis gelegt ...«
    »Stimmt.« Sie griff in ihren Kasten und holte ein dunkles Praline in einem

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