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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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der Gesellschaft, in der Politik, der Medizin - das alles ist heutzutage ein und dasselbe, ich weiß, aber betrachte es vielleicht einfach als spontane Selbstorganisation, als einen Prigogine-Sprung der Gesellschaft in eine höhere Komplexitätsstufe ... «
    »O nein!« stöhnte Lindsay.
    Sie klopfte auf den Scanner, und dieser surrte von seinem Schädel nach oben weg. Dann saß sie auf einem altmodischen hölzernen Bürostuhl, ein Bein übergeschlagen, vor ihm. »Ganz sicher, daß du nicht doch ein Praline haben möchtest?«
    »Bestimmt nicht!«
    »Na, dann nehm ich mir eins.« Sie zog ein Schokobömbchen aus dem Kasten, biß hinein und kaute selig. »Schmeckt wirklich ganz köstlich.« Sie sagte es ganz unaffektiert, mit vollem Mund. »Derzeit haben wir grade mal wieder eine gute Zeit, Abélard. Deswegen haben sie mich wohl wieder aufgetaut, vermute ich.«
    »Du hast dich verändert.«
    »Die Vereisung bewirkt das bei Leuten. Die Kataklysmatiker hatten recht. Sie hatten recht, mich abzuschalten. Ich war dabei zu verkalken. Es war so: In einem Moment schwebte ich noch durch die Mathe-Halle in der Kosmosität, Computerausdrucke in der Hand, war auf dem Weg ins Büro, den Kopf voll von kleinen Problemen, Sorgen, Aufgaben ... dann war mir einen Moment lang schwindlig. Ich schaute mich um - und alles war weg. Verlassen. Alles Plunder. Die Printouts in meiner Hand zerbröselten, meine Kleider waren voller Staub, Goldreich-Tremaine lag in Trümmern, die Computer abgewürgt, die Schüler ... alle fort ... Die Welt machte einen Spontansatz von dreißig Jahren; es war das totale Kataklysma. Drei Tage lang hetzte ich hinter neuen Informationen her, versuchte unsere Clique ausfindig zu machen, erfuhr, daß ich der Geschichte angehörte, und dann stürzte es wie eine Sturmwoge über mich herein. Ich hatte eine Präeklampsis sozusagen, Abélard. Meine vorgefaßten Überzeugungen zerbrachen in Trümmer. Die Welt brauchte mich nicht, und alles, was ich für wichtig erachtet hatte, war dahin. Mein Leben war total sinnlos. Und total frei.«
    »Frei«, wiederholte Lindsay und schmeckte das Wort auf der Zunge ab. »Constantine ...«, sagte er plötzlich. »Mein Feind«
    »Er ist tot - gewissermaßen«, sagte Margaret Juliano, »aber das ist eine Definitionsfrage. Ich habe die Scans über seinen Zustand von seinen Congeneten zugestellt erhalten. Er ist ziemlich stark beschädigt. Er verfiel in einen langwierigen epileptoiden AbsenceZustand und machte dann eine Bewußtseinsakzeleration durch, die subjektiv für ihn wie Jahrhunderte gedauert hat. Sein Bewußtsein vermochte sich mit den aus der Arena-Maschine zugespeisten Daten nicht aufrecht zu erhalten. Es dauerte derart lange, daß dabei seine Persönlichkeit wegradiert wurde. Um es metaphorisch auszudrücken: Er hat sich selber in Stück - vergessen.«
    »Und das haben sie dir gesagt? Seine eigenen Halbgeschwister?«
    »Die Zeiten haben sich gewandelt, Abélard. Wir haben die Detente wieder zurück. Die Genlinie der Constantines hat Schwierigkeiten, und wir haben für diese Information gut bezahlt. Die Skimmers Union hat den Kapital-Status verloren, jetzt ist die Jastrow-Station die Hauptstadt, und sie steckt voller Zen-Serotoniker. Die verabscheuen Aufregung.«
    Die Neuigkeiten erregten Lindsay stark. »Fünf Jahre«, sagte er. Bebend stand er auf. »Was sind schließlich schon fünf Jahre für mich?« Er mühte sich, im Zimmer auf und ab zu gehen, schwankte aber nur benommen herum. Die Vertauschung der Unken und rechten Hirnhemisphären machte ihn unbeholfen. Er reckte sich hoch und mühte sich, seine Kinesis in den Griff zu bekommen.
    Er mißlang.
    Er fauchte Dr. Juliano an. »Mein Training! Meine Kinesikpotentiale!«
    Sie nickte. »Ja. Als wir reinstiegen, haben wir die Überreste davon festgestellt. Frühe shaperische psycho-technische Konditionierung. Recht primitiv, gemessen an unserm modernen Standard. Störte deine Rekonvaleszenz. Darum haben wir das Zeug im Lauf der Jahre aufgespürt und Stückchen für Stückchen gelöscht.«
    »Willst du damit sagen, es ist weg? «
    »Aber ja. Wir mußten uns sowieso um eine Menge Zerebraldichotomien kümmern, auch ohne daß deine Ausbildung zusätzlich noch für duale Gedankenmoduln sorgte. Heuchelei als sekundärer Bewußtseinszustand - und dieser ganze Mist.« Sie schniefte. »Das Konzept war von allem Anfang an eine üble Sache.«
    Lindsay sackte in den Scanning-Sessel zurück. »Aber - mein gesamtes Leben ... Und jetzt habt ihr mir

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