Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling

Vom Netzwerk:

ausgemacht, dessen Gestalt und Substanz sie für irgendwie blasphemisch hielt. Sie hatte vor Verzweiflung den Geist aufgegeben.
    Lindsay hatte nach genau solch einer Chance Ausschau gehalten.
    Als Vera ihm von dem Zwischenfall erzählte, handelte er sofort. Er heuerte die Hummer durch ihren Geschäftsträger im Czarina-Kluster an, einen Hummer, den sie »Modem« nannten.
    Unter höchster Geheimhaltung wurde ein kompliziertes Abkommen mit den anarchischen Hummern ausgearbeitet. Eines ihrer luftlosen spitzenumhüllten Raumfahrzeuge verwendete Veras Koordinaten, um die tote Raupe aufzuspüren. Lindsay gestattete ihnen, das Fahrzeug abzuwracken und sich die Triebwerke der Fremden anzueignen. Als Gegenleistung rüsteten sie die entleerte Hülle für den heimlichen Versuch um, das Verbot bezüglich der ERDE zu durchbrechen.
    Dieses Interdikt hatte die Gassäcke noch nie betroffen. Diese hatten auf ihrem Recht bestanden, das gesamte Sonnensystem zu erforschen, und sie hatten den Pionieren auf Fomalhaut die gleichen Rechte eingeräumt. Ihre Beobachtungssonden hatten schon oft die Erde untersucht. Sie hatten keinerlei Versuche unternommen, mit den ortsansässigen Primitivwesen Kontakt aufzunehmen. Sie hatten sich nur vergewissert, daß der Planet auch keine Gefahr darstellte, und waren in höchstem Desinteresse nach Hause zurückgekehrt.
    Gemeinsam mit seinen beiden Gefährten hatte Lindsay sich seine höchste und letzte Verkleidung übergestreift. Er gab sich als Alien aus, um so möglichst die ganze Schismatrix hinters Licht zu führen.
    Die Erregung und das Triumphgefühl hatten Lindsay um Jahrzehnte verjüngt. Er hatte seinen Brustpanzer vergrößert, damit sein Herz synchron mit seinen Gefühlsempfindungen arbeiten könne. Der Unterarmmonitor, der in seinen Arm eingebettet lag, glühte bernsteingolden vom Adrenalin.
    Die Raumkapsel schoß über den geschwollenen Südatlantik und sank an der Dämmerungsgrenze tief in die Erdatmosphäre hinab. Die Bremswirkung preßte Lindsay heftig in die Gurte seines Exoskelettsessels.
    Die Hummer hatten rasch, aber etwas stümperhaft gearbeitet. Die drei Besatzungsmitglieder waren in einer vier Meter breiten Spantenkapsel zusammengepreßt. Es gab zwei Luftrahmen, einen Recycler und drei Beschleunigungsliegen, die aus schwarzem Elastogeflecht über Stahlrahmen bestanden, die man an den Boden epoxydverklebt hatte. Den Rest des Schiffes nahmen die Triebwerke und der »Käfig«, ein garagenartiger Raum für Musterexemplare ein.
    In diesem Käfig kauerte ein Surveyorrobot, eine der Unterwassersonden von Europa.
    Die früheren Körperöffnungen des toten Astronauten waren von Gewebeteilchen befreit und statt dessen mit Kameras und Scanningsystemen ausgestattet worden. In der Exemplarhöhle hatte man ein Schott angebracht, aber in der Besatzungskabine war nicht genug Platz für eine Luftschleuse. Die drei Insassen waren fest ineinander verkeilt.
    Pilot hatte das gar nicht gemocht. Aber auf Pilot war Verlaß. Ihm war Europa oder ihre Pläne damit egal, doch es gelüstete ihn einfach danach, einen Handstreich auf den urväterlichen Majestätsursprung auszuführen.
    Er war bereits überall gewesen, angefangen von den turbulenten Fransenzonen der Sonnenkorona bis zu der Oort-Kometenwolke am Rand des zirkumsolaren Weltraums. Er war zwar nichthuman, aber für die Dauer des Unternehmens war er »einer von uns«.
    Die Scanner wurden allmählich wieder scharf. Die Bremsung ging über in das schwere Zerren der Erdanziehung. Lindsay wurde in seinem Sessel nach vorn gekrümmt, er pfiff, wenn sein Leibpanzer die Lungen pumpte. »Da schaut doch bloß, was diese Brühe mit den Sternen anstellt«, beklagte sich Pilot melodiös.
    Vera griff neben ihren Sitz und entfaltete ihre fest in Harmonikafalten verpackten Schirme. Sie streckte das Videobord mit leisem Knall aus und glättete die Knitterfalten. »Schau, Abélard. Über uns ist dermaßen viel Luft, daß die Sterne darin verschwimmen. Bedenk doch, wieviel Luft. Es ist phantastisch!«
    Lindsay räkelte sich und betrachtete prüfend die Sicht durch die Heckkamera. In ihrem Rücken ragte eine Mauer von Gewitterwolken bis an die Grenze der Troposphäre. Schwarze regendurchfurchte Wolkenbärte stiegen zu weißen Amboßköpfen hinauf, die im letzten Dämmerlicht glühten. Es handelte sich um langgestreckte Ausläufer der Sturmzone voller anhaltender Unwetter, die den Planetenäquator umkreisten.
    Lindsay vergrößerte den Heckausschnitt, bis er das gesamte