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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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gemausert; die Stille, nur durchbrochen von Vogelgeschrei; Laubbaldachine, die das eingespiegelte Sonnenlicht zu Tupfenmustern auflösten. Einheimische Neoteniker in betont antiker Kleidung hingen auf flechtenzerfressenen Steinbänken herum, während die ihnen anvertraute Herde der Pfleglinge - senile Shapers und unbrauchbar gewordene Mechs - staunend durch das Gehölz torkelten.
    Lindsay blieb stehen, er keuchte ein wenig, als sein Harnisch ihm die Brust unter dem dunkelblauen Mantel aufpumpte. Die sackweiten Hosenbeine und die handfesten orthopädischen Schuhe verbargen die Prothesenstützen an den osteoporetischen Beinen. Über ihnen, an der Nabe der Welt, versprühte ein ultraleichtes Flugzeug einen langen Schwanzstreifen eines grauen Aschenpulvers über die saftiggrünen Baumwipfel.
    Niemand trat ihm zu nahe. Die Stickerei - Tintenfische und Seeteufel - auf seinen Ärmeln wiesen ihn zwar als Zirkumeuropäer aus, mehr aber auch nicht. Er war inkognito gekommen.
    Als er wieder richtig durchatmen konnte, schritt Lindsay tapfer weiter auf das Tyler Mansion zu, wo er sich mit Constantine treffen sollte.
    Das herrschaftliche Gutshaus hatte inzwischen einige Erweiterungen erfahren. Jenseits der efeuverhüllten Mauern waren andere feudale Domizilien aus dem Boden gewachsen, ein ganzer Komplex von Heimen und Pflegestationen für die SeniorenPensionäre. Trotz der Konservationisten war die Außenwelt unerbittlich hierher vorgedrungen. Die Primärindustrien der Republik, die Haupteinnahmequelle, waren Krankenanstalten und Beerdigungsunternehmen; Rehabilitation für jene, die es noch einmal »schafften«, und der stille, ungestörte Hinübergang für jene, die es eben nicht mehr taten.
    Lindsay überquerte den Hof des ersten »Hospitals«. Eine Gruppe von Blut-Badenden briet in der Sonne, wo sie anscheinend mit tierhafter Gleichmut darauf warteten, daß ihnen die Haut nachwüchse. Hinter diesem Kliniktrakt kam ein zweiter »Gäste«-Bau, in dem zwei jugendliche Pattemisten sich, schwerbewacht, betätigten. Sie kratzten mit Zweigstücken im Staub herum, ihre schiefsitzenden Schädel berührten einander fest. Lindsay fing den Blick des einen auf, als dieser kurz einmal aufsah: In den kalten Augen des Jungen hing die eisige Logik schwerster Paranoia.
    Adrett gekleidete neotenische Bedienstete geleiteten Lindsay durch das Tor zum Tyler-Besitz. Margaret Juliano war bereits seit Jahren tot. In dem neuen Direktor erkannte Lindsay einen ihrer »Superhellen«-Studenten.
    Der Superhelle kam ihm auf dem Rasen entgegen. Auf dem Gesicht des Mannes erkannte er die gelassene Selbstsicherheit, die Zen-Serotonin vermittelt. »Ich habe deinen Besuch mit dem Hüter Pongpianskul abgestimmt«, sagte der Mann.
    »Das war sehr weise«, sagte Lindsay. Neville Pongpianskul war zwar schon lange tot, aber es galt als unhöflich, diese Tatsache zu erwähnen. Entsprechend dem Ritual des Ring Council war Pongpianskul »verblichen«, hatte aber ein vorprogrammiertes Gewebe von Reden, Verkündigungen, öffentlichen Auftritten auf Videoband und ein willkürliches Sortiment von Telephonaten hinterlassen. Die Neotenisten hatten sich nie die Mühe gemacht und einen anderen an seine Stelle als »Hüter« gesetzt. Damit ersparte man sich reihum eine ganze Menge Ärger.
    »Erlaubst du, daß ich dich durch das Museum führe, Sir?« fragte der Superhelle. »Unser verstorbener Kurator, Alexandrina Tyler, hat uns eine einmalige, eine unvergleichliche Sammlung von Lindsayana vermacht.«
    »Später vielleicht. Empfängt Kanzler-General Constantine Besuch?«
    Constantine hielt sich im Rosengarten auf; er lag in einem Liegestuhl neben einem Bienenstock und stierte mit ausdruckslosen Plastikaugen in die Sonne. Die Jahre waren - trotz allerbester Fürsorge - nicht gut mit ihm umgesprungen. Der jahrelange Aufenthalt in natürlichen Schwerkraftfeldern hatte aus seinem Körper ein Paket von Muskelknoten mit seltsamen Knollen und Auswüchsen über dem zarten Skelett gemacht.
    Das eingespiegelte Sonnenlicht der Republik hatte keinen Ultraviolettbereich, trotzdem war Constantine gebräunt, und die uralte nackte Haut hatte purpurne und blaue Flecken, groß wie Muttermale. Er hatte fast alle Kopfhaare verloren, und an strategischen Stellen seines Schädels sah man schwielenartige Wucherungen. Die Behandlungen waren gründlich gewesen, erschöpfend. Und letztlich - sie hatten Erfolg gehabt.
    Während Lindsay behutsam zu ihm hinknirschte, drehte Constantine sich zu ihm herum. Die

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