Schismatrix
diese Erbschaft und pflegte geflissentlich die verfeinerten, exzentrischen Traditionen einer angenehmeren Epoche.
Lindsay ließ die elf Staatsbürger der Fortuna Miners' Democracy in einem antiseptischen Saunakeller zurück, wo sie von teilnahmslos abgebrühten Badeknechten saubergeschrubbt wurden. Es war das erste wirkliche Bad, das die Piraten seit Monaten genießen konnten. Ihre hageren Leiber waren von dem beständigen Ji-Jit-su-Training in der Schwerelosigkeit von knotigen Muskelsträngen bedeckt. Ihre schweißüberströmte Haut glühte von furchteinflößenden Tätowierungen und eitrigen Hautausschlägen.
Lindsay zog es vor, sich nicht zu ihnen zu gesellen. Er trat in einen getäfelten Umkleideraum und gab seine Uniform eines Nephrine-Medics ab, damit sie gereinigt und gebügelt werde. Dann schlüpfte er in einen weichen braunen Kimono. Eine männliche Geisha niedrigen Rangs, in Kimono und mit dem Obi gegürtet, näherte sich ihm. »Was sind deine Wünsche, Herr?«
»Ich möchte, bitte, gern ein Wort mit der yarite sprechen.«
Die männliche Geisha betrachtete ihn mit wohlerzogen verstohlener Skepsis. »Einen Augenblick. Ich werde nachfragen, ob unsere Leitende Direktorin Gäste empfängt.«
Der Mann verschwand. Nach etwa einer halben Stunde tauchte eine blonde weibliche Geisha in Geschäftsanzug, aber mit Obi auf. »Mister Dze? Bitte hier entlang.«
Er folgte ihr zu einem Aufzug, der von zwei Männern bewacht wurde, die mit elektrodenbestückten Knüppeln bewaffnet waren. Die Posten waren Riesen; Lindsays Kopf reichte kaum bis zu ihren Ellbogen. Die langen steinernen Gesichter waren akromegalisch verformt: angeschwollene Wülste an Kinnbacken, wie Klippen vorspringende Wangenknochen. Man hatte sie mit Wachstumshormonen behandelt.
Der Aufzug schoß drei Stockwerke nach oben und hielt.
Hinter der Aufzugstür sah Lindsay ein dichtes Netz von grellfarbigen Perlen. Tausende sich drehende knopfbesetzte Drähte hingen vom Boden bis zur Decke. Bei jeder Bewegung mußten sie durcheinandergeraten.
»Nimm meine Hand«, befahl die Bankangestellte. Unter Geschiebe und Klirren ging Lindsay hinter ihr her. »Tritt behutsam vorwärts«, sagte die Frau. »Es gibt hier Fallen.«
Lindsay schloß die Augen und folgte ihr. Seine Führerin blieb stehen; in einer verspiegelten Wand tat sich eine Geheimtür auf. Lindsay trat hindurch und in das Privatgemach der Yarite .
Der Fußboden war aus uraltem zu dunklem Leuchten polierten Holz. Es lagen flache quadratische Kissen herum, mit Mustern von Bambus bedruckt. In der langen Wand links von Lindsay gab eine gläserne Doppeltür den Blick auf einen sonnenbestrahlten Holzbalkon frei, dahinter auf einen prächtigen Garten, in dem Krüppelkiefern und hochgewachsene Japonicarosen Bogenarkaden über gewundenen, feingeharkten weißen Kieswegen bildeten. Die Luft im Raum duftete nach Nadelholz. Lindsay blickte auf diese Welt, wie sie gewesen war, ehe die Verrottung begonnen hatte, er sah eine Projektion auf blinde Türen, die sich niemals öffnen konnten und die nirgendwohin führten.
Die Yarite saß mit gekreuzten Beinen auf einem Kissen. Sie war eine vertrocknete alte Mech mit einem festverkniffenen Mund und Augen, die wie mit reptilienhaften Nickhäuten überzogen schienen. Dem schrumpeligen Kopf bedeckte eine helmartige Lackperücke, die mit Ziernadeln gespickt war. Sie trug einen kantigen geblümten Kimono, der durch Stärke und Bügel in Form gehalten wurde. Das Kleidungsstück hätte drei Personen ihrer Größe Platz geboten.
Mit dem Gesicht zu dem Illusionsgarten kniete eine weitere Frau rechts an der Wand. Lindsay begriff sofort, daß sie eine Shaperin sein müsse. Allein schon ihre bestürzende Schönheit bewies es, doch sie besaß auch jenes fremdartige Charisma, jene Unberührtheit, die sich um die Neugestalteten wie ein Magnetfeld ausbreitete. Ihre genetische Abstammung war gemischt asiato-afrikanisch: die Augen leicht schräg, die Haut jedoch dunkel. Die Haare lang und leicht gekraust. Sie kniete vor einem Set weißer Keyboards und sah demütig-hingebungsvoll aus.
Die Yarite sprach, ohne den Kopf zu bewegen. »Tu deine Pflicht, Kitsune.« Die Hände des Mädchens glitten über die Tastatur, und die Luft füllte sich mit den Klängen jenes urältestehrwürdigen japanischen Instruments: des Synthesizers.
Lindsay ließ sich der alten Frau gegenüber auf einem Kissen auf die Knie nieder. Ein Teetablett glitt neben ihn und goß mit keuschem Gluckern heißes Wasser in
Weitere Kostenlose Bücher