Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
Vom Netzwerk:
sollten, Billys künstlichen Lebensraum in einem Zoo in Tralfamadore aufzubauen.
    Die schreckliche Beschleunigung der Untertasse, als sie die Erde verließ, verkrümmte Billys schlummernden Körper, verzerrte sein Gesicht, brachte ihn aus dem Zeitmaß und versetzte ihn zurück in den Krieg.

    Als er wieder zu Bewußtsein kam, war er nicht in der fliegenden Untertasse. Er war wieder in einem Deutschland durchquerenden Güterwagen.
    Einige Leute standen vom Boden des Wagens auf, und andere legten sich nieder. Billy hatte vor, sich auch niederzulegen.
    Es würde eine Wonne sein zu schlafen. Es war dunkel im Waggon und dunkel außerhalb des Waggons, der mit etwa drei Stundenkilometern zu fahren schien. Der Waggon schien nie schneller zu fahren.
    Es verging eine lange Zeit zwischen den Klicks, zwischen den Verbindungsstellen der Schienen. Es machte Klick, und dann verging ein Jahr, und dann machte es wieder Klick.
    Der Zug hielt häufig, um wirklich wichtige Züge aufheulen und vorbeirasen zu lassen. Etwas anderes, das er tat, war, daß er an Nebengleisen in der Nähe von Gefängnissen hielt und dort einige Waggons zurückließ. So kroch er durch ganz Deutschland, wobei er immer kürzer wurde.
    Und Billy ließ sich — ach, so allmählich jetzt — nieder und hängte sich an das schräge Balkenkreuz in der Ecke, um fast gewichtlos für diejenigen zu erscheinen, zu denen er sich auf dem Boden gesellen wollte. Er wußte, es war wichtig, daß er sich fast geisterhaft dünn machte, wenn er sich niederlegte. Er hatte vergessen, warum, aber schon wurde er daran gemahnt.
    »Pilgrim « , sagte jemand, an den er sich gerade anschmiegen wollte, »bist du‘s? « Billy sagte nichts, sondern schmiegte sich sehr höflich an und schloß die Augen.
    »Gottverdammt « , schimpfte der andere. »Du bist es doch, nicht wahr? « Er setzte sich auf und tastete Billy grob mit den Händen ab. »Du bist's. Scher dich hier raus, zum Teufel! «
    Nun setzte auch Billy sich auf, unglücklich, den Tränen nahe.
    »Scher dich hier raus! Ich will schlafen! «
    »Halt die Klappe « , sagte jemand anders.
    »Ich halte sie, wenn Pilgrim hier weggeht. «
    Also stand Billy wieder auf, hielt sich an dem Balkenkreuz fest. »Wo kann ich schlafen? « fragte er ruhig.
    »Nicht bei mir. «
    »Nicht bei mir, du Hundesohn « , mischte sich ein anderer ein. »Du schreist. Du strampelst mit den Füßen. «
    »Tu ich das? «
    »Du hast gottverdammt recht, daß du das tust. Und wimmerst. «
    »Tu ich das? «
    »Bleib um Himmels willen fort von hier, Pilgrim. «
    Und jetzt setzte ein bissiges Madrigal ein, in das Stimmen aus allen Teilen des Wagens einfielen.
    Offenbar hatte fast jeder eine Greuelgeschichte von etwas zu melden, was Billy ihm in seinem Schlaf angetan hatte. Jedermann sagte Billy Pilgrim, er solle sich zum Teufel scheren.
     
    Also mußte Billy Pilgrim im Stehen schlafen oder überhaupt nicht. Und Essen kam keines mehr durch die Lüftungsklappen herein, und die Tage und Nächte wurden die ganze Zeit kälter.

    Am achten Tag sagte der vierzigjährige Landstreicher zu Billy: »Es ist nicht so schlimm. Ich kann es mir überall bequem machen. «
    »Kannst du das? « fragte Billy.
    Am neunten Tag starb der Landstreicher. So geht das.
     
    Seine letzten Worte waren: »Du glaubst, es sei schlimm? Es ist nicht schlimm. «
    Es war etwas am Tod und dem neunten Tag. Es gab einen Tod am neunten Tag auch im Waggon vor Billys Waggon. Roland Weary starb — an Brand, der in seinem wunden Fuß begonnen hatte. So geht das.
     
    Weary, in seinem fast ununterbrochenen Delirium, erzählte immer wieder von den drei Musketieren, räumte ein, daß er sterben mußte, und gab viele Botschaften, die an seiner Familie in Pittsburgh bestellt werden sollten. Vor allem wollte er gerächt werden, daher sagte er wieder und immer wieder den Namen des Menschen, der an seinem Tod schuld war.
    Jedermann in dem Waggon prägte sich das gut ein.
    »Wer hat mich umgebracht? « fragte er.
    Und jedermann kannte die Anwort, die lautete:
    »Billy Pilgrim. «

    Hört — in der zehnten Nacht wurde der Pflock aus dem Verschluß von Billys Güterwagentür herausgezogen und die Tür geöffnet. Billy Pilgrim lag zusammengesunken, selbst gekreuzigt, auf der Bremse in der Ecke und hielt sich dort mit einer blauen und elfenbeinfarbenen Klaue fest, die er über den Balken der Lüftungsklappe gehakt hatte. Billy hustete, als die Tür geöffnet wurde, und als er hustete, schiß er dünnen Schleim. Das

Weitere Kostenlose Bücher