Schläft das Personal auch an Bord?
Iquitos können nur Schiffe mit geringem Tiefgang starten – was einzig und allein etwas über den Schiffsrumpf aussagt und nichts über das Leben an Bord! Meist handelt es sich dabei um sogenannte »Expeditionsschiffe«. Sie haben den Vorteil, dass landeskundliche Lektoren an Bord sind, die einem die heute noch mit Stolz vorgeführten uralten Sitten der Yagua- und Boras-Indianer erklären können. Bei einer Amazonasreise lernt man so nicht nur Urwald und Ureinwohner kennen, sondern auch Länder. Genauer gesagt drei: Aus Peru kommend passiert man auf einer kurzen Strecke Kolumbien, ehe man dann die Weiten Brasiliens durchquert.
Wer nur den brasilianischen Abschnitt von der Mündung bis Manaus bereisen will (etwa die Hälfte der Strecke bis Iquitos), sollte in jedem Fall einen Abend (den ersten oder den letzten der Reise) in der Oper von Manaus verbringen. Es ist völlig gleichgültig, welche Oper dort gegeben wird: Das Gefühl, mitten im Dschungel zu sitzen, in einem opulent dekorierten Opernhaus der Belle Époque, das sich neureiche Kautschukbarone haben bauen lassen, die ihre Wäsche ins entfernte Lissabon schippern ließen – weil dort die Hemden besser gewaschen wurden als vor Ort –, ist eine superbe Erfahrung. Besonders wenn man nach der Vorstellung auf die aus Kautschuk geformten Pflastersteine tritt, die damals den Lärm der Kutschen dämpften, und auf ihren Spuren in der tropischen Nacht zu seinem Hotel schlendert. Special! Very, very special!
Auf der anderen Seite des südamerikanischen Kontinents gibt es ein Areal, das ebenfalls nur mit einem Schiff erkundet werden kann, aber weniger warm ist, eher »frisch«: die chilenischen Fjorde . Die schneebedeckten Anden schauen einen dort mit großer Grandezza an, wohl wissend, dass sie einsam und absolut grandios zugleich sind. Bei der Fahrt durch diese menschenarme Natur tut es gut zu wissen, dass man von Bord aufs Ufer schaut. Und nicht umgekehrt. Denn in dieser einsamen Wildnis wäre man vollends verloren. Da würde auch kein vorbeifahrendes Schiff helfen. Denn die Passagiere würden einen in diesem Dickicht noch nicht einmal sehen. »Hat da drüben, neben dem riesigen Baum, nicht gerade was geraschelt?«
Was auch immer man sich angesichts dieser grandiosen Landschaft vorstellt: Tatsache ist, dass trotz allem in diesem Teil Südamerikas – Patagonien mit Namen – natürlich Menschen leben. Wenn auch nur wenige. Im Mittel sogar nur zwei pro Quadratkilometer. In kleinen Städten und auf verstreut gelegenen Haziendas ein paar mehr. Ich habe einmal einen Heiligen Abend in Puerto Natales verbracht, der Hauptstadt der chilenischen Provinz »Ùltima Esperanza« (also »Letzte Hoffnung«), und am Abend die Christmette in dem 20 000-Seelen-Städtchen besucht. Da leuchtete ein Weihnachtsbaum in grellbunter Latino-Ästhetik, dass er Las Vegas hätte Konkurrenz machen können. Die Bänke waren gefüllt mit Menschen, deren Haut die Unbilden des patagonischen Sommers kennt unddie in dicken Daunenjacken steckten als Schutz gegen den scharfen Wind.
Für sie war es nicht katholische Folklore , in vielen Stunden über Stock und Stein zur Christmette zu fahren. Für sie war es ein Anliegen, ihrem Herrgott zu danken für alles, was sie in diesem Jahr erlebt hatten – oder auch erleben mussten. Und auch wenn ich von dieser spanischen Messe kein Wort verstand, spürte ich doch die Intensität dieser religiösen Gefühle. Es war in doppeltem Sinne ein Heiliger Abend.
Bei einer Anlandung in Puerto Natales ist ein Besuch des Nationalparks » Torres del Paine« absolute Pflicht, wenn man die Fauna Patagoniens live und in Farbe erleben will. Guanakos (eine Lama-Art), Darwin-Nandus (ein 90 cm hoher Laufvogel) und die Anden-Kondore (die Supersegler der Lüfte) flößen einem Respekt ein, der durch den in dieser Bergwelt herrschenden Wind noch verstärkt wird. Wer meint, seine Bäume wüchsen in den Himmel, sollte einmal hier vorbeikommen. Das erdet ungemein.
Auf der Route durch die chilenischen Fjorde begegnet man auch dem Pio XI. Gletscher , den man mit schiffseigenen Zodiacs ( ⇒ siehe »Z wie Zodiac«) vom Wasser aus besichtigen kann – allerdings nur vorsichtig. Denn dieser Gletscher kalbt in unvorhersehbaren Rhythmen und dann donnern zig Tonnen Eis ins Wasser. Ist man zu nah dran, stürzen sie einem aufs Haupt. Ist man etwas weiter weg (aber immer noch zu nah), wirft einen dieFlutwelle der einstürzenden Eismassen aus dem Boot ins bitterkalte Nass. Und seit dem
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