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Schlaf in himmlischer Ruh

Schlaf in himmlischer Ruh

Titel: Schlaf in himmlischer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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hatte sich
selbst zu oft den Schreibtisch versperrt, um nicht ein paar nützliche Tricks
gelernt zu haben. Nach wenigen Sekunden hatte er Einblick in die privatesten
Geheimnisse des Finanzchefs.
    Es war eine schreckliche Enttäuschung.
Wenn Ben irgendwelche Indizien gefunden hatte, hatte er sie sicher nicht hier
aufbewahrt. Er hatte sowieso nicht viel aufbewahrt bis auf sein Handwerkszeug
und eine Schublade, die reichlich mit Heilmittelchen gefüllt war.
    Shandy durchwühlte das Sortiment. Es
bot bequeme Möglichkeiten, einen fanatischen Hypochonder zu vergiften, aber wie
hatte man die Untat zuwege bringen können? Antiacide, alle in versiegelten
Packungen. Aspirin, sauber und unbeschädigt, Bandagen, ein Fieberthermometer,
Fußpuder, antibiotische Salbe, Hustentropfen, in Silberpapier verpackt,
Sonnenöl, der Himmel wußte warum, eine Packung Papiertaschentücher und eine
halbleere Ampulle Nasentropfen. Jetzt wußte er, weshalb er gekommen war.
»Grimble, kommen Sie mal einen Moment her!«
    »Was? Wozu?«
    Der Wachdienstchef, der offenbar im
Stuhl der Sekretärin ein Nickerchen gemacht hatte, stolperte in Cadwalls Büro.
»Was ist denn jetzt los?«
    »Sie werden als Zeuge fungieren«,
befahl ihm der Professor, wobei er seine Miene sorgsam beobachtete. »Ich werde
jetzt diese Ampulle Nasentropfen aus der Schublade nehmen, sie sehr vorsichtig
mit diesem Papiertaschentuch halten, für den Fall, daß irgendwelche
Fingerabdrücke außer denen von Dr. Cadwall dran sind, was ich nicht erwarte, und
sie in diesen Umschlag stecken.«
    »Warum zur Hölle?« Grimble sah
ausschließlich verschlafen und zerstrubbelt aus.
    »Weil Sie und ich sie zum Labor für
Organische Chemie bringen werden. Sie werden mir aufschließen, und ich werde
analysieren, was in der Flasche ist.«
    »Ach ja?«
    »Ja. Los jetzt, Grimble«

Dreiundzwanzigstes Kapitel
     
     
     
     
     
     
     
    G rimble schnarchte. Er schnarchte seit
Stunden, während Professor Shandy sich wach hielt, indem er alle Flaschen,
Flakons, Pipetten, Reagenzgläser und Gerätschaften im Labor zählte. Auf der
plastikbeschichteten Arbeitsplatte vor ihm lag Hannah Cadwalls Schicksal auf
der Waage.
    Nein, zum Kuckuck, das tat es nicht! Er
drückte einen Korken in die Phiole, die ihm gerade gesagt hatte, was er wissen
mußte, packte sie und die Ampulle Nasentropfen mit peinlicher Sorgfalt in eine
kleine Schachtel, die er gefunden hatte, und rüttelte den Wachdienstchef wieder
ins Bewußtsein zurück.
    »Oh Jesus«, jammerte der Mann, »was
denn jetzt?«
    »Wir gehen den Präsidenten wecken.«
    »Er bringt uns um.«
    »Das Risiko müssen wir eingehen.«
    Aus dem Schneesturm war nicht viel
geworden. Die Flocken fielen bereits ausgesprochen dünn und bildeten gewaltige
Klumpen, wenn sie in der Luft zusammenpappten. Shandy schlurfte in seinem
nassen Überzieher dahin und fragte sich, warum er nicht bis zum Morgen warten
konnte, um Svenson zu zeigen, was er gefunden hatte. Da kam durch den grauen
Dunst die Kirchturmuhr in Sicht, und ihm wurde klar, daß es schon Morgen war.
Es war fast halb sechs, und er hatte noch kein Auge zutun können. Allmählich
verspürte er einen persönlichen Haß auf den schlauen Unhold, der darauf
gekommen war, Taxin in Ben Cadwalls Nasentropfen zu träufeln. Er erwog, Grimble
auf die bloße Möglichkeit hin, daß er der Richtige wäre, eins auf die Zähne zu
hauen, spürte aber nicht die Kraft, voll zuzuschlagen.
    Die Svensons behaupteten immer, sie
würden mit den Hühnern aufstehen, und das taten sie offenbar. Als Shandy und
sein unwilliger Begleiter in Sicht des gewaltigen weißen Hauses auf dem
höchsten Teil des Hügels hinter dem Campus kamen, brannte in der Küche Licht.
Sieglinde selbst kam an die Tür, noch mehr Walküre als gewöhnlich in ihrem
langen blauen Bademantel und mit dicken flachsblonden Zöpfen auf den Schultern.
    »Peter Shandy! Was tun Sie hier?
Thorkjeld ist noch im Bett.«
    »Sie müssen ihn wecken.«
    Das war fast mit Sicherheit der erste
direkte Befehl, den Mrs. Svenson je von einem Fakultätsmitglied bekommen hatte.
Sie blickte Shandy lange und nachdenklich an und sagte schließlich: »Kommen Sie
herein. Bleiben Sie bitte auf der Matte stehen, während Sie abtropfen.«
    Unglaublicherweise kam der Präsident
herab. Thorkjeld Svenson war schon in gewöhnlicher Kluft beeindruckend genug;
in mehrere Hektar baumwollenen Bademantel gewickelt, unrasiert und rotäugig,
mit Haaren, die sich zu beiden Seiten der Donnerstirn zu eisengrauen

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