Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
Gunther Dörrhoff. Das konnte kein Zufall sein.
»Dieser hier ist Jakobs Psychiater.« Was hatte das zu bedeuten?
»Dann sollten Sie sich den mal vornehmen«, sagte Steeve. »Und am besten gleich herausfinden, wer die anderen Leute auf der Liste sind.«
»Ja, das denke ich auch. Die haben was hiermit zu tun, da bin ich mir sicher.«
»Dann beeilen Sie sich besser. Bevor sich einer von denen absetzen kann.«
Böttger ließ seinen Blick über den dunklen Hof schweifen, auf den der Regen niederprasselte. Hier war alles voller Spuren. Und sie hatten diese Liste mit den Namen. Sie waren ganz nah dran, den Fall zu klären. Er durfte jetzt keinen Fehler machen.
»Geh schon mal durch und setz dich, ja?«, sagte Tante Renate. »Das Gästebett beziehe ich später. Zuerst mache ich uns eine Flasche Wein auf!«
Sie warf die Haustür hinter sich ins Schloss, stupste Sanna in Richtung Wohnzimmer und verschwand in der Küche, wo sie mit einem theatralischen Seufzer die Kühlschranktür aufriss. Sanna trat in Tante Renates Wohnzimmer, in dem sie sich schon als Kind immer wohl und geborgen gefühlt hatte. Eine Architektur, die in den späten 70ern modern gewesen war. Große Fenster, dunkle Wände, viel Platz. Draußen ging an der Terrassenüberdachung ein kleiner Sturzbach runter. Überall im Garten hatten sich Pfützen gebildet.
Sanna war plötzlich furchtbar müde. Sie ließ sich auf die Couch sinken. Sie trug Herrenjeans und einen dunkelgrünen Strickpullover, der ihr ein paar Nummern zu groß war. Die Sachen gehörten dem Sohn des Dorfsheriffs. Seine Frau hatte sie in die Wache gebracht, und Sanna war ihr furchtbar dankbar gewesen.
Sie hatte sich völlig benommen gefühlt nach den Ereignissen. Doch Jakob und sie hatten es geschafft, zu entkommen. Sie lebten. Das war das Wichtigste. Als Tante Renate die beiden dann jedoch nach Hause bringen wollte, da hatte es plötzlich geheißen: Jakob muss auf der Wache bleiben. Im Mordfall des kleinen Mädchens war er immer noch ein Verdächtiger. Er war zur Fahndung ausgeschrieben worden. Jetzt musste er in Gewahrsam bleiben, bis die Kollegen ihn ausführlich befragen würden.
Tante Renates Versuche, Heinrichs umzustimmen, waren vergeblich gewesen. Jakob musste in die Zelle. Er hatte ganz hilflos auf der Bank gesessen und plötzlich furchtbar verloren gewirkt. Sanna hatte nicht gewusst, was sie tun sollte. War es richtig gewesen, Jakob alleine zu lassen? Was würde mit ihm passieren, wenn ihn die Polizisten unter Druck setzen?
Sanna erinnerte sich an die Nacht, in der sie Jakob so lange gedrängt hatte, ihr zu sagen, was mit Maike passiert war, bis er völlig durchgedreht war. Alles war zutage gekommen: Seine seltsamen Stimmungswandel, das verstörende Verhalten, das er manchmal zeigte, sein ganzer Wahnsinn. Sie fragte sich, was passierte, wenn er in einem Vernehmungsraum sitzen und von Profis in die Zange genommen werden würde. Bestimmt würde etwas Ähnliches passieren, und danach würde sich seine Hoffnung, nicht zurück in die Klinik zu müssen, in Luft auflösen.
In der Wache waren sie und Jakob einen kurzen Moment alleine gewesen. Die nette Polizistin hatte Tee gekocht, und alle anderen waren nebenan gewesen. Da hatten sie erstmals seit der Flucht in Ruhe miteinander reden können. Jakob war wieder sein schüchternes und ängstliches Selbst gewesen. Dazu ein Gesichtsausdruck, als würde er überhaupt nicht wissen, was passiert war und wer ihn hierher gebracht hatte. Er hatte Sanna von der Seite angesehen.
»Du blutest am Kopf, Sanna.«
»Ich weiß. Das ist nur ein Kratzer. Wie geht es dir ?«
Es schien, als müsse er zunächst darüber nachdenken.
»Mir ist kalt. Aber sonst ist alles gut.« Es klang wie eine Frage.
»Ja, uns ist nichts passiert. Wir hatten Glück.«
Sie achtete darauf, dass keiner sie hören konnte.
»Jakob, weißt du, wo wir heute waren?«
Er zögerte. Dann ein Nicken. »Auf dem Hof.« Er schien darüber nachzudenken. »Wir waren in der Scheune.«
»Was weißt du sonst noch?«
Die Frage quälte ihn, das merkte sie.
»Ich hab immer diese Kopfschmerzen, weißt du?«
»Trotzdem. Denk nach, Jakob.«
Er grübelte. Es war, als würde er versuchen, sich an einen Traum zu erinnern. »Großvater. Er ist tot.«
Das war der Teil, den Sanna am liebsten verdrängen würde. Sie hatte einen Menschen getötet. Noch waren es die Geschehnisse in der Scheune und ihre abenteuerliche Flucht, die im Vordergrund standen. Doch tief in ihr drin gärte es bereits.
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