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Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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versuchte sie es ein weiteres Mal.
    »Jannis«, nannte sie ihn, »hörst du mich? Ich bin es.«
    Er sah verwundert auf. Seine wasserblauen Augen wirkten groß und unschuldig. Sie nahm seine Hand, die kalt und trocken war, und umschloss sie fest.
    »Du kannst mir vertrauen«, sagte sie. »Wer ist dieses Kind, Jannis?«
    Er flüsterte heiser: »Maike.«
    »Es ist also Maike. Woher kennst du sie? Du kennst sie doch, oder?«
    Sie hielt weiter seine Hand umschlossen. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es besser wäre, sich nicht auf diese Psychospielchen einzulassen. Keiner konnte sagen, welche Geister sie damit heraufbeschwor.
    »Wer war Maike, Jannis?«, fragte sie. »Darf ich das wissen? Verrätst du mir das?«
    Etwas Seltsames passierte. Jakob zog ein Schmollmündchen. Er hob übertrieben die Schultern und rollte mit den Augen. Dann redete er nicht mehr mit seiner normalen Stimme, sondern mit einer hohen Stimme, wie ein Kind.
    »Maike ist noch ein Baby. Die ist blöd.«
    Sanna starrte ihn an. Seine Veränderung brachte sie aus dem Konzept. Sie ließ seine Hand los.
    »Die will nie mit, wenn die Männer kommen«, redete er weiter. »Dabei muss die das. Und dann wird Papa immer böse. Ich will nicht, dass Papa böse wird. Maike ist total doof.«
    Sanna spürte ihr Herz schlagen. Sie fühlte sich benommen. Es war unheimlich, was hier passierte. Trotzdem machte sie weiter.
    »Welche Männer meinst du denn?«, fragte sie.
    »Na, die, die immer kommen. In der Scheune. Die mit den dunklen Sachen. Wenn die kommen, müssen wir auch in die Scheune. Das weiß Maike genau.«
    »Und Maike will nicht zu den Männern in die Scheune?«
    »Nein. Aber die muss.«
    »Warum will sie nicht?
    »Weil die uns wehtun«, flüsterte er.
    »Wie tun sie euch weh? Was machen diese Männer?«
    Jakob bohrte verlegen den Finger in den Oberschenkel. Es war die unkoordinierte Bewegung eines Kleinkindes.
    »Die tun uns halt weh«, sagte er, ohne sie anzusehen.
    Er wollte offenbar nicht in die Details gehen, und Sanna war ihm im Grunde dankbar dafür.
    »Sind diese Männer schuld daran, dass Maike tot ist?«, fragte sie. Es dauerte, bis Jakob antwortete.
    »Maike will das nicht machen, was die sagen. Die ist nie brav. Aber die muss.«
    »Ja, aber haben diese Männer Maike getötet?«
    »Maike schläft jetzt. Die ist müde.«
    »Was ist passiert? Weshalb schläft Maike?«
    Jakob antwortete nicht. Er hockte in seiner Kinderhaltung da und sah zu Boden. Sanna wusste nicht, was hier passierte. Aber sie wollte weitergehen. Die Wahrheit war irgendwo verborgen, und sie war nicht mehr weit entfernt.
    »Was ist passiert?«, fragte sie eindringlich. »Ich muss das wissen.«
    Jakob hob ruckartig den Kopf. Er wirkte plötzlich größer. Sein Blick war flammend. Voller Wut und Bitterkeit. Sanna rückte von ihm ab. Er fixierte sie wie ein Insekt. Mitleidlos. Sie spürte wieder das Herz klopfen. Was da passierte, verstörte sie. Trotzdem konnte sie jetzt nicht aufhören.
    »Was ist mit Maike passiert?«, fragte sie vorsichtig.
    Seine Augen waren dunkel. Als hätte sich die Farbe seiner Iris verändert. Aber das war natürlich unmöglich. Es war eher die Art, wie er sie anblickte, die diesen Eindruck entstehen ließ. Er wirkte nicht mehr verletzlich oder schutzbedürftig. Im Gegenteil.
    »Du meinst das Kind«, stellte er fest. »Maike.«
    Sie nickte, brachte aber kein Wort über die Lippen.
    »Es durfte nicht leben«, sagte er kalt. »So einfach ist das. Ich kann es nicht ändern.«
    Sein Gesicht näherte sich. Er sah auf sie herab. Seine Augen funkelten. Sanna duckte sich. Sie begriff nicht, was passierte. Doch ein neues Gefühl übermannte sie, eines, das sie in Jakobs Gegenwart bislang noch nicht gespürt hatte: Es war Angst.
    »Was hast du getan?«, flüsterte sie.
    In seinem Blick war keinerlei Emotion.
    »Hast du sie …?«
    »Es durfte nicht leben«, wiederholte er. »Das war für dieses Kind nie vorgesehen.«

9
    Mittwochmorgen in der Einkaufsstraße in Marienbüren. Die Kioskbesitzerin schloss müde die Ladentür auf, rollte Postkartenständer und Aufsteller heraus, dann blinzelte sie mürrisch gegen das graue Licht und verschwand wieder im Innern. An der Bäckerei fuhr ein Mercedes vor, ein Mann im Jogginganzug sprang heraus, kaufte eine Tüte Brötchen und jagte mit quietschenden Reifen davon. Neben dem Eingang der Drogerie stand eine Verkäuferin, an der nur Schminke und Haarfestiger frisch waren, und rauchte mit starren Zügen eine Zigarette. Noch war

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