Schlafender Tiger. Großdruck.
Koffer...“ begann Selina. „Er ist...“
„No hablo ingles.“
„Mein Koffer... Sprechen Sie Englisch?“
Ein zweiter Mann trat hinzu. „Er sagt 'nein'.“
„Sprechen Sie Englisch?“
Er zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen, daß er vielleicht, unter besonders widrigen Umständen, ein oder zwei Wörter herausbringen würde.
„Mein Koffer. Mein Gepäck.“ Verzweifelt versuchte sie es mit Französisch. „Mes bagages.“
„Nicht hier?“
„Nein.“
„Woherrr Sie kommen?“ Er rollte das „r“ bravourös.
„Barcelona. London.“
„Oh!“ Es klang, als hätte sie ihm eine traurige Nachricht überbracht. Damit wandte er sich an seinen Kollegen, und sie begannen eine Unterhaltung, die genausogut ein Privatgespräch hätte sein können. Selina fragte sich verzweifelt, ob die beiden Familienneuigkeiten austauschten. Dann zuckte der Englisch sprechende Mann wieder die Schultern und drehte sich zu Selina um. „Ich werrrde herrrausfinden.“
Er verschwand. Selina wartete. Der erste Zollbeamte begann in seinen Zähnen herumzustochern. Irgendwo schrie ein Kind. Wie zum Hohn dröhnte plötzlich aus den Lautsprechern Musik, die man normalerweise mit Stierkämpfen verbindet. Nach zehn Minuten oder so kam der hilfreiche Beamte mit einem der Stewards aus dem Flugzeug zurück.
Der Steward sagte mit einem Lächeln, als würde er Selina einen reizenden Gefallen tun: „Ihr Koffer ist verschwunden.“
„Verschwunden?“ wiederholte Selina verzweifelt.
„Ihr Koffer ist, glauben wir, in Madrid.“
„Madrid! Was macht er in Madrid?“
„Leider ist er in Barcelona auf den falschen Gepäckwagen gekommen... glauben wir. Von Barcelona geht auch ein Flugzeug nach Madrid. Wir denken, Ihr Gepäck ist in Madrid.“
„Aber es war nach San Antonio durchgecheckt. In London.“
Bei dem Wort „London“ stieß der Zollbeamte erneut einen resignierten Seufzer aus. Selina hätte ihn schlagen können.
„Es tut mir leid“, sagte der Steward. „Ich werde mich mit Madrid in Verbindung setzen, damit sie Ihren Koffer nach San Antonio schicken.“
„Wie lange wird das dauern?“
„Ich habe nicht gesagt, daß er tatsächlich in Madrid ist“, erwiderte der Steward, entschlossen, sich nicht festzulegen. „Das müssen wir erst herausfinden.“
„Nun, wie lange wird es dauern, das herauszufinden?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht drei, vier Stunden.“
Drei oder vier Stunden! Wenn sie nicht so wütend gewesen wäre, hätte sie losgeheult. „Ich kann hier nicht drei oder vier Stunden warten.“
„Dann können Sie vielleicht wiederkommen. Morgen, vielleicht um zu sehen, ob der Koffer da ist. Aus Madrid.“
„Aber kann ich Sie nicht anrufen? Telefonieren?“
Das war offenbar ein Scherz. Lächelnd erwiderte er: „Señorita, es gibt hier nur wenige Telefone.“
„Dann muß ich morgen wiederkommen, um zu erfahren, ob Sie meinen Koffer gefunden haben?“
„Oder übermorgen“, sagte der Steward mit der Miene eines besonders klugen Kopfes.
Selina machte einen letzten Versuch. „Aber alles, was ich besitze, ist in diesem Koffer.“
„Es tut mir leid“, wiederholte er mit demselben Lächeln. In diesem Moment hatte sie das Gefühl zu ertrinken. Sie sah von einem zum anderen, und langsam wurde ihr klar, daß niemand ihr helfen würde. Helfen konnte. Sie war allein und mußte sich selber helfen. Also fragte sie schließlich mit einer Stimme, die nur ganz leicht zitterte: „Ist es wohl möglich, ein Taxi zu bekommen?“
„Aber selbstverständlich. Draußen. Dort sind viele Taxis.“
Es waren in Wirklichkeit vier. Sobald Selina das Flughafengebäude verließ, hupten die Taxifahrer, winkten, riefen „ Señorita !“, sprangen aus ihren Wagen
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