Schlafender Tiger. Großdruck.
Traubenzuckerbonbon, und sie aß es, als wäre es ein neues Wundermittel gegen Flugangst. Es half zwar kaum, aber das Flugzeug stürzte immerhin nicht ab.
Das schlechte Wetter hielt allerdings an, und bis zur Landung war von San Antonio nichts zu sehen. Zuerst glitten Wolken an den Fenstern vorbei wie dicke graue Wattebäusche. Dann kam der Regen, und dann, völlig unerwartet, Felder, Hausdächer, eine Windmühle, Pinien und ziegelrote Erde, und alles glänzte im Regen.
Der Flugplatz war noch ganz neu, die Landebahn ein Stück plattgewalzte Erde, die sich in ein Meer aus rotem Schlamm verwandelt hatte. Nach der Landung schoben zwei Mechaniker eine Gangway heran. Sie trugen gelbe Öljacken und waren bis zu den Knien mit Schlamm bespritzt. Diesmal schien niemand besonders erpicht darauf, das Flugzeug zu verlassen. Nachdem sie dann doch ausgestiegen waren, gingen die Passagiere vorsichtig um die Pfützen herum.
San Antonio duftete nach Pinien. Nach nassen, harzigen Pinien. Der Regen hatte wie durch ein Wunder aufgehört. Es war wärmer als in London, und es wehte ein sanfter Wind. Es gab keine schneebedeckten Berge, nur das warme Meer. Der Flug war vorbei, und sie lebte noch. Selina band ihr Kopftuch ab und ließ ihr Haar im Wind wehen.
Bei der Paßkontrolle hatte sich eine Schlange gebildet. Mitglieder der Guardia Civil standen herum, als erwarteten sie eine Bande von Schwerverbrechern. Sie trugen Pistolen, und zwar nicht zur Zierde. Der Paßbeamte ließ sich Zeit. Er führte ein langes, heftiges Gespräch mit einem Kollegen. Sie stritten über irgend etwas, und er stoppte seinen Redefluß nur dann und wann, um gewissenhaft, Seite für Seite, einen der ausländischen Pässe zu überprüfen.
Selina war als dritte an der Reihe. Sie hatte bereits zehn Minuten gewartet, als er schließlich den Stempel Entrada in ihren Paß eintrug und ihn ihr zurückgab.
„Mein Gepäck...?“ fragte sie vorsichtig.
Er verstand sie nicht oder wollte sie nicht verstehen und winkte sie weiter. Sie steckte den Paß wieder in ihre praktische Handtasche und ging selbst auf die Suche. Für einen kleinen Flughafen war San Antonio um diese frühe Morgenstunde ungewöhnlich bevölkert, um halb zehn flog die Maschine zurück nach Barcelona, ein äußerst beliebter Flug. Familien versammelten sich, Kinder schrien, Mütter ermahnten sie laut, damit aufzuhören. Väter stritten mit Gepäckträgern oder standen für Tickets und Bordkarten an. Liebespaare warteten händchenhaltend darauf, sich voneinander zu verabschieden, und standen allen im Weg. Der Lärm in der riesigen Halle war ohrenbetäubend.
„Verzeihung“, sagte Selina immer wieder, während sie sich einen Weg durch die Menge bahnte. „Es tut mir leid... Entschuldigung...“ Einige ihrer Mitreisenden hatten sich bereits unter dem Zeichen Aduana versammelt, und sie kämpfte sich zu ihnen durch. „Verzeihung...“ Sie stolperte über einen bauchigen Korb und stieß dabei beinahe ein dickes Baby in einer gelben Strickjacke um. „Oh, Verzeihung.“
Die ersten Gepäckstücke erschienen, wurden auf einen Behelfstresen gehoben, untersucht, manchmal geöffnet und schließlich vom Zollbeamten an den Passagier weitergegeben und weggetragen.
Selinas Koffer kam nicht. Er war blau mit einem weißen Streifen und leicht zu erkennen, und nachdem sie eine Ewigkeit gewartet hatte, wurde ihr klar, daß er nicht mehr kommen würde. Die anderen Passagiere waren nach und nach verschwunden, und Selina blieb allein zurück.
Der Zollbeamte, dem es bisher erfolgreich gelungen war, sie zu ignorieren, stemmte die Hände in die Hüften und hob seine schwarzen Augenbrauen.
„Mein
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