Schlafender Tiger. Großdruck.
Dieb mit einer Rasierklinge.
Wie war der Name der Señorita?
Selina Bruce aus London, unterwegs mit einem britischen Reisepaß.
Und wie lautete Miss Bruces Adresse auf San Antonio?
Sie lautete... Selina zögerte, aber die Umstände erlaubten kein Zögern mehr. Casa Barco, Cala Fuerte.
Welche Farbe hatte die Brieftasche? Wieviel Geld hatte sie bei sich? Waren ihre Reiseschecks unterschrieben?
Erschöpft beantwortete sie die Fragen. Die Zeiger der Uhr krochen auf zehn, halb elf und immer weiter. Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Sie hatte ihren Koffer und ihr gesamtes Geld verloren. Und sie war noch nicht einmal in Cala Fuerte.
Schließlich war die Befragung vorbei. Der Polizeibeamte schob die Papiere zusammen und stand auf. Selina bedankte sich bei ihm und schüttelte ihm die Hand. Er wirkte überrascht, lächelte aber immer noch nicht.
Zusammen durchquerten Selina und Toni die jetzt leere Halle des Flughafengebäudes, gingen durch die Glastür, blieben stehen und sahen sich an. Selina hatte ihren Mantel über den Arm gehängt, denn es war unangenehm heiß geworden, und wartete darauf, daß Toni den ersten Schritt machte.
Er nahm seine Sonnenbrille ab.
„Ich muß immer noch nach Cala Fuerte“, sagte sie.
„Sie haben kein Geld.“
„Aber Sie bekommen Ihr Geld, das verspreche ich Ihnen. Wenn wir erst mal in Cala Fuerte sind, wird... mein... Vater Sie bezahlen.“
Toni runzelte die Stirn. „Ihr Vater? Sie haben einen Vater hier? Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“
„Es hätte doch nichts genützt. Wir... wir hätten ihn sowieso nicht erreichen können, oder?“
„Ihr Vater lebt in Cala Fuerte?“
„Ja. In einem Haus namens Casa Barco. Ich bin sicher, er wird dasein, und er wird Sie bezahlen.“ Toni sah sie mißtrauisch an. Ganz offensichtlich glaubte er ihr nicht. „Sie können mich nicht einfach hier stehenlassen. Ich habe nicht mal mehr mein Rückflugticket nach London.“
Toni starrte eine Weile ins Nichts und beschloß dann, sich eine Zigarette anzuzünden. Er schien sich um keinen Preis festlegen zu wollen.
„Sie haben gesagt, Sie würden mich fahren“, beharrte Selina. „Und ich sorge dafür, daß Sie Ihr Geld bekommen. Das verspreche ich Ihnen.“
Er blies eine Rauchwolke in die Luft, und seine schwarzen Augen richteten sich wieder auf Selina. Sie sah blaß und ängstlich aus, aber zweifellos wohlhabend. Die ruinierte Handtasche war aus Krokodilleder, sie trug passende Schuhe dazu; sowohl das Kostüm als auch der Mantel waren aus teurem Wollstoff. Wenn sie sich bewegte, konnte Toni eine dünne goldene Kette um ihren Hals erkennen, außerdem trug sie eine goldene Uhr. Sie roch zweifellos nach Geld - wenn nicht in ihrer Handtasche, dann irgendwo anders. Es war erst März, und es gab noch nicht so viele Fahrten, daß er es sich leisten konnte, eine Fuhre abzulehnen. Und dieses Mädchen, diese junge inglesa, sah nicht aus, als wäre sie in der Lage, irgend jemanden auszutricksen.
„In Ordnung“, sagte er schließlich. „Fahren wir.“
4
M ilde gestimmt von seiner eigenen Freundlichkeit, wurde Toni geradezu redselig: „San Antonio war bis vor fünf Jahren eine arme Insel. Es gab so gut wie keine Verbindungen zum Festland, nur ein kleines Boot zweimal die Woche. Aber jetzt haben wir den Flughafen, also kommen mehr Besucher. Im Sommer sind viele Menschen da. Alles wird besser.“
Das erste, was besser werden muß, sind die Straßen, dachte Selina. Die, auf der sie sich gerade befanden, war ein zerfurchter Lehmweg, auf dem das altertümliche Taxi schaukelte und schwankte wie ein Schiff auf hoher See. Es wand sich zwischen niedrigen Mauern aus
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