Schlafender Tiger. Großdruck.
und Parfum. Elegant gekleidete Menschen saßen in kleinen Gruppen zusammen. Selina fühlte sich windzerzaust und leicht derangiert.
Sie wollte sich gerade in Richtung Waschraum davonstehlen, als der Mann, der allein in der Nähe der Bar gesessen hatte, sie bemerkte, aufstand und auf sie zukam. Er war groß und gutaussehend, Mitte Dreißig, und trug die typische Uniform des Geschäftsmannes: einen dunkelgrauen Anzug, ein dezent gestreiftes Hemd und eine unaufdringliche gestreifte Krawatte. Sein Gesicht war faltenlos und gut geschnitten, die Ohren lagen eng am Kopf an, das braune Haar war voll und glatt und reichte ihm genau bis zum strahlendweißen Kragenrand. Über seiner tadellos sitzenden Weste hing eine goldene Uhrkette, Manschettenknöpfe und die Armbanduhr waren ebenfalls aus Gold. Er sah genau so aus, wie er war: wohlhabend, wohlgepflegt, wohlerzogen und eine Spur aufgeblasen.
„Selina“, sagte er.
Ihre Flucht in den Waschraum wurde abrupt vereitelt. Selina drehte sich um. „Oh, Rodney...“ Sie zögerte.
Er küßte sie und bemerkte: „Du bist spät dran.“
„Ich weiß. Es tut mir leid. Es war so ein Verkehr.“
Sein Blick zeigte ihr, wenn auch relativ freundlich, wie unpassend er ihr Aussehen fand. Gerade wollte sie sagen „Ich geh mir kurz die Nase pudern“, doch er kam ihr zuvor: „Du gehst dir wohl lieber die Nase pudern.“ Das konnte sie wahnsinnig machen. Sie zögerte. Sollte sie ihm erklären, daß sie gerade auf dem Weg zum Waschraum gewesen war, als er sie aufgehalten hatte? Es schien kaum der Mühe wert. Also lächelte sie, Rodney lächelte zurück, und sie gingen wortlos auseinander - anscheinend in völligem Einvernehmen.
Als sie zurückkam, das rehbraune Haar glattgekämmt, die Nase frisch gepudert, die Lippen nachgezogen, saß er auf einem kleinen, geschwungenen Satinsofa und wartete auf sie. Vor ihm auf dem kleinen Tisch standen sein Martini und der blasse, trockene Sherry, den er immer für Selina bestellte. Sie setzte sich neben ihn.
„Liebling“, begann er, „bevor wir von etwas anderem reden, muß ich dir für heute nachmittag absagen. Um zwei Uhr erwarte ich einen Klienten, ein ziemlich wichtiger Mensch. Es macht dir doch nichts aus? Morgen kann ich es einrichten.“
Sie hatten vorgehabt, in die neue Wohnung zu gehen, die Rodney gemietet hatte und in der sie ihr Eheleben beginnen wollten. Sie war erst kürzlich renoviert worden, und jetzt, wo die Klempner- und Elektrikerarbeiten abgeschlossen waren, mußten sie nur noch die Räume ausmessen und Tapeten und Vorhänge und die passenden Farben aussuchen.
Selina sagte ihm, daß es ihr natürlich nichts ausmachte. Morgen paßte genausogut wie heute. Insgeheim war sie dankbar, daß ihr eine vierundzwanzigstündige Galgenfrist blieb, bevor sie gezwungen sein würde, sich für die Farbe des Wohnzimmerteppichs zu entscheiden und das Für und Wider von Chintz oder Samt zu erwägen.
Rodney lächelte wieder, erfreut über ihr Verständnis. Er nahm ihre Hand, drehte den Verlobungsring so, daß der Saphir genau in der Mitte ihres schmalen Ringfingers lag, und fragte: „Und was hast du heute vormittag gemacht?“
Auf diese direkte Frage hatte Selina eine ganz besonders romantische Antwort. „Ich habe mir ein Hochzeitskleid gekauft.“
„Liebling!“ Er war hocherfreut. „Und wo?“
Sie sagte es ihm. „Es klingt sehr phantasielos, ich weiß, aber Miss Stebbings... Sie leitet die Modellkleid-Abteilung, und meine Großmutter ging immer dorthin, und ich dachte, ich gehe lieber zu jemandem, den ich kenne. Sonst mache ich wahrscheinlich einen Riesenschnitzer und kaufe etwas ganz Schreckliches.“
„Wie kommst du denn darauf?“
„Ach, du
Weitere Kostenlose Bücher