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Schlafender Tiger. Großdruck.

Schlafender Tiger. Großdruck.

Titel: Schlafender Tiger. Großdruck. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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an­la­gen, stan­den Se­li­nas ab wie die Hen­kel ei­ner Kaf­fee­kan­ne.
    Sie dreh­te das Fo­to um. Auf der Rück­sei­te stand:
     
    Har­riet, mein Lieb­ling,
     
    von G.
     
    und ein paar Kreu­ze, Zei­chen für Küs­se.
    Har­riet war der Na­me ih­rer Mut­ter ge­we­sen, und nun wuß­te Se­li­na, daß dies ein Fo­to ih­res Va­ters war.
    Sie er­zähl­te nie­man­dem da­von. Sie stell­te Re­bec­ca ins Re­gal zu­rück und nahm das Fo­to mit auf ihr Zim­mer. Von da an trug sie es im­mer bei sich, in dün­nes Pa­pier ein­ge­wi­ckelt, da­mit es nicht zer­knit­ter­te oder schmut­zig wur­de. Sie hat­te auf ein­mal ei­ne Ah­nung von ih­rer Ver­gan­gen­heit, al­ler­dings viel zu va­ge, um ihr Ver­lan­gen zu stil­len, und so be­ob­ach­te­te sie wei­ter­hin an­de­re Fa­mi­li­en und be­lausch­te ih­re Un­ter­hal­tun­gen...
     
    Die Stim­me ei­nes Kin­des riß Se­li­na aus ih­ren Ge­dan­ken. Sie hat­te ge­träumt. Jetzt, wo sie hell­wach war, hör­te sie auf ein­mal den brau­sen­den Ver­kehr auf dem Pic­ca­dil­ly Cir­cus und das Ge­brab­bel ei­nes Ba­bys in ei­nem Kin­der­wa­gen. Das klei­ne Mäd­chen auf dem Drei­rad und ihr Va­ter wa­ren längst ver­schwun­den. An­de­re Men­schen hat­ten ih­ren Platz ein­ge­nom­men, und nur ein paar Me­ter von Se­li­na ent­fernt lag ein eng­um­schlun­ge­nes Lie­bes­paar im Gras.
    Der Holz­stuhl wur­de lang­sam un­be­quem. Se­li­na ver­än­der­te ih­re Hal­tung ein we­nig, und das Päck­chen, das Rod­ney ihr ge­ge­ben hat­te, glitt von ih­rem Schoß und fiel zu Bo­den. Sie bück­te sich, hob es auf und be­gann zer­streut, es aus­zu­pa­cken. Auf dem Schutz­um­schlag aus weißem Hoch­glanz­pa­pier stand in ro­ten Buch­sta­ben:
     
    FIES­TA IN CA­LA FU­ER­TE
     
    von Ge­or­ge Dyer
     
    Se­li­na ver­zog den Mund. Das Buch wirk­te ziem­lich schwie­rig. Sie blät­ter­te es flüch­tig durch und schloß es wie­der, als hät­te sie es be­reits aus­ge­le­sen. Es lag mit dem Rücken nach oben auf ih­ren Kni­en.
    Das Ge­sicht sprang ihr ins Au­ge, so wie ein Na­me ei­nem manch­mal plötz­lich aus ei­nem Zei­tungs­ar­ti­kel ins Au­ge springt. Es war ein Pri­vat­fo­to, das man ver­grö­ßert hat­te, da­mit es auf die Rück­sei­te des Um­schlags paß­te. Ge­or­ge Dyer. Er trug ein wei­ßes Hemd mit of­fe­nem Kra­gen, und sei­ne Haut er­schi­en im Ge­gen­satz da­zu dun­kel wie Le­der. Das Ge­sicht war von fei­nen Li­ni­en durch­zo­gen, sie um­rahm­ten sei­ne Au­gen, zo­gen tie­fe Kanä­le von der Na­se zum Mund, zer­furch­ten die Stirn.
    Aber trotz­dem, es war das­sel­be Ge­sicht. Er hat­te sich nicht sehr ver­än­dert. Das Grüb­chen am Kinn war da. Die schö­nen Oh­ren, das Strah­len in sei­nen Au­gen, als wür­den er und der Fo­to­graf sich über ir­gend et­was köst­lich amü­sie­ren.
    Ge­or­ge Dyer. Der Au­tor. Er leb­te auf ei­ner In­sel im Mit­tel­meer und schrieb äu­ßerst wohl­über­legt und ver­nünf­tig über die Ein­hei­mi­schen. Das war sein Na­me, Ge­or­ge Dyer.
    Se­li­na nahm ih­re Ta­sche, hol­te das Fo­to ih­res Va­ters her­aus und hielt die bei­den Fo­tos mit zit­tern­den Hän­den ne­ben­ein­an­der.
    Ge­or­ge Dyer. Und er hat­te ein Buch ver­öf­fent­licht. Und er leb­te.

2
     
     
     
     
     

    S eli­na nahm ein Ta­xi zu­rück nach Queen's Ga­te, lief die Trep­pen hoch, stürm­te in die Woh­nung und rief nach Agnes.
    „Ich bin hier, in der Kü­che“, ant­wor­te­te Agnes.
    Als Se­li­na in der Kü­chen­tür er­schi­en, war Agnes ge­ra­de da­bei, Tee­blät­ter in ei­ne Kan­ne zu fül­len. Sie war ei­ne klei­ne, al­ters­lo­se Per­son, und Se­li­na wuß­te, daß ihr leicht säu­er­li­cher Ge­sichts­aus­druck le­dig­lich als Schutz ge­gen die Tra­gö­di­en des Le­bens diente. Agnes hat­te das gü­tigs­te Herz der Welt und er­trug es kaum, all den Kum­mer und das Leid, von dem sie hör­te, nicht lin­dern zu kön­nen. „Die­se ar­men Äthio­pier“, pfleg­te sie zu sa­gen und setz­te ih­ren Hut auf, um los­zu­ge­hen und ei­ne Spen­den­an­wei­sung in Auf­trag zu ge­ben, meis­tens über mehr, als sie sich leis­ten konn­te. Wäh­rend der Kam­pa­gne „Ge­gen Hun­ger in der Welt“ hat­te sie sie­ben Ta­ge auf

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