Schlafender Tiger. Großdruck.
George Dyer zu gerne gefragt, ob er die gelben Räder selbst angemalt hätte, doch irgendwie traute sie sich nicht.
Nachdem sie eingestiegen waren, legte er ihr den Mantel auf den Schoß, ließ den Motor an, schaltete und wendete den Wagen in mehreren haarsträubenden Vor- und Rückwärtsmanövern. Eine Katastrophe schien unvermeidlich. Einmal waren sie kurz davor, eine Mauer zu rammen. Im nächsten Moment hingen sie mit den Hinterrädern knapp über einer steilen Treppe. Selina schloß die Augen. Als der Wagen schließlich den Hügel hinaufschoß, roch es entsetzlich nach Auspuffgasen, und von irgendwoher unter ihren Füßen kamen seltsame Klopfgeräusche. Die Sitze hingen durch und waren vollkommen durchlöchert, und der Boden, der bereits vor Jahren seinen Teppichbelag eingebüßt hatte, glich einer Mülltonne. In Georges Interesse hoffte Selina, daß seine Yacht tüchtiger war als dieses Gefährt.
Aber trotz alledem machte es ungeheuren Spaß, in George Dyers Auto durch Cala Fuerte zu fahren. Die Kinder lachten laut, winkten und riefen ihnen fröhlich etwas zu. Die Frauen, die in den Gärten saßen oder vor ihren Türen miteinander plauderten, drehten sich lächelnd um und grüßten freundlich. Die Männer, die von der Arbeit nach Hause gingen, blieben stehen, um sie vorbeizulassen, und riefen irgend etwas Lustiges auf spanisch, das Selina nicht verstand.
„Was sagen sie?“
„Sie wollen wissen, wo ich meine neue Señorita gefunden habe.“
„Ist das alles?“
„Ist das nicht genug?“
Sie erreichten schwungvoll das Cala Fuerte-Hotel und hielten so plötzlich an, daß eine weiße Staubwolke unter ihren Rädern aufstieg und sich über die Tische und die Drinks der Gäste legte, die auf Rodolfos Terrasse saßen, um sich den ersten Aperitif des Abends zu gönnen. „Frechheit“, schimpfte jemand auf englisch, doch George Dyer ignorierte ihn, stieg aus dem Wagen, ohne erst die Tür zu öffnen, und ging die Stufen zur Terrasse hoch und durch den Perlenvorhang. Selina folgte ihm.
„Rodolfo!“
Rodolfo stand hinter der Bar. Auf spanisch sagte er: „Du brauchst nicht so zu schreien.“
„Rodolfo, wo ist der Taxifahrer?“
Rodolfo lächelte nicht. Er goß ein paar Gläser voll und bemerkte: „Der Taxifahrer ist weg.“
„Weg? Wollte er nicht sein Geld haben?“
„Doch, das wollte er. Sechshundert Peseten.“
„Wer hat ihn bezahlt?“
„Ich“, erwiderte Rodolfo. „Und ich möchte mit dir reden. Wenn ich meine Gäste bedient habe.“
Er trat hinter seiner Bar hervor, ging wortlos an ihnen vorbei und verschwand durch den Perlenvorhang. Selina starrte George an. „Ist er wütend?“
„Ich schätze, er ist über irgend etwas verstimmt.“
„Wo ist Toni?“
„Er ist weg. Rodolfo hat ihn bezahlt.“
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Selina die Bedeutung dieser Information klar wurde. „Aber wenn er weg ist, wie soll ich dann nach San Antonio kommen?“
„Weiß der Himmel.“
„Sie müssen mich fahren.“
„Ich fahre heute abend nicht mehr nach San Antonio, und selbst wenn ich es täte, könnten wir Ihnen immer noch kein Ticket kaufen.“
Selina biß sich auf die Lippen. „Rodolfo schien vorhin so nett zu sein.“
„Wie wir alle hat auch er zwei Seiten.“
Der Perlenvorhang klirrte, und Rodolfo kehrte zurück.
Er stellte sein leeres Tablett ab und begann auf spanisch auf George einzureden, was wahrscheinlich gut war, denn die Ausdrücke, die er benutzte, waren mit Sicherheit nicht für die Ohren einer wohlerzogenen englischen Señorita bestimmt. George verteidigte sich temperamentvoll. Als ihre Stimmen immer lauter wurden, wagte Selina, der klar war, daß sie der Grund für diese Auseinandersetzung war, ein
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