Schlafender Tiger. Großdruck.
Sie haben doch keine Angst vor so ein bißchen Regen, oder?“
„Bißchen Regen nennen Sie das?“
Seine Miene war eisig, er ließ sich nicht zu einer Antwort herab.
„Können wir das Verdeck nicht hochklappen?“
Er legte die Gangschaltung ein, und sie fuhren mit einem Satz los.
„Das läßt sich schon seit zehn Jahren nicht mehr hochklappen“, rief er über den Motorenlärm und den Sturm hinweg. Die Fluten schienen ihnen schon bis zu den Radkappen zu reichen, und Selinas Füße standen im Wasser. Sie fragte sich, ob sie anfangen sollte zu schöpfen.
„Wozu ist ein Verdeck gut, wenn man es nicht hochklappen kann?“ fragte sie.
„Ach, hören Sie schon auf zu quengeln.“
„Ich quengle nicht, aber...“
Er beschleunigte das Tempo derartig, daß sie vor Schreck verstummte. Sie rasten die Straße entlang, schnitten mit quietschenden Reifen die Kurven und spritzten Fontänen gelben Schlamms in die Luft. Das Meer lag bleiern vor ihnen, und die Gärten der reizenden kleinen Villen waren bereits vom Sturm verwüstet. Der Wind jagte Blätter, Stroh und Piniennadeln durch die Luft. Als sie schließlich über den Hügel und die schmale Straße zur Casa Barco herunterkamen, waren die Wassermassen zu einem reißenden Strom angeschwollen, so daß Selina sich fühlte wie auf einer Wildwasserfahrt.
Die Fluten stürzten zu beiden Seiten der Stufen hinunter, die zum Hafen führten, und auch der alte Netzschuppen, der George als Garage diente, stand unter Wasser.
Trotzdem fuhr George hinein und brachte den Wagen einen Millimeter vor der hinteren Wand zum Stehen. Er schaltete den Motor aus und sprang aus dem Auto. „Kommen Sie“, sagte er, „steigen Sie aus und helfen Sie mir, die Türen zu schließen.“
Selina hatte zuviel Angst, um zu widersprechen. Sie watete durch zehn Zentimeter hohes, eiskaltes, schmutziges Wasser und half ihm, die schiefen Türen zu schließen. Schließlich hatten sie es geschafft. Sie lehnten sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen, bis es George gelang, mit brutaler Kraft den Riegel vorzuschieben. Er ergriff Selinas Handgelenk, und während sie zur Casa Barco rannten, erhellte ein Blitz den dunklen Himmel, gefolgt von einem Donnerschlag, der so nah klang, daß Selina glaubte, das Dach würde einbrechen.
Kaum waren sie im Haus, lief George auf die Terrasse und mühte sich mit den Fensterläden ab, die in dem starken Wind Gefahr liefen, an der Hauswand zu zerschellen. Von den Blumentöpfen, die der Wind teils über die Brüstung, teils auf den Terrassenboden geschleudert hatte, waren nur noch lehmverschmierte Scherbenhaufen übrig.
Als es George schließlich gelungen war, die Fensterläden und die Türen zu schließen, wirkte das Haus dunkel und fremd. Er versuchte das Licht einzuschalten, doch die Stromversorgung war unterbrochen. Der Regen, der durch den Schornstein gekommen war, hatte das Feuer gelöscht, und der Brunnen gab gurgelnde Geräusche von sich, als würde er jeden Moment überlaufen.
„Wird uns auch nichts passieren?“ fragte Selina ängstlich.
„Warum sollte uns etwas passieren?“
„Ich fürchte mich vor Donner.“ „Der kann Ihnen nichts tun.“
„Aber Blitze können es.“
„Dann fürchten Sie sich lieber vor Blitzen.“
„Vor denen fürchte ich mich auch.“
Sie fand, daß er sich bei ihr entschuldigen müßte, doch er zog lediglich eine durchnäßte Zigarettenschachtel aus seiner Tasche, warf sie in den Kamin und machte sich auf die Suche nach einer neuen. In der Küche fand er schließlich eine. Er zog eine Zigarette heraus, zündete sie an und goß sich einen ordentlichen Whisky ein. Nachdem er das Glas neben dem Brunnen abgestellt hatte, ließ er den Eimer hinunter, zog ihn wieder hoch und schüttete sich mit einer Geschicklichkeit, die viel
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