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Schlafender Tiger. Großdruck.

Schlafender Tiger. Großdruck.

Titel: Schlafender Tiger. Großdruck. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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auf­ge­rollt. Sie spür­te ei­ne selt­sa­me Neu­gier, was ihr Kör­per, den sie nicht mehr un­ter Kon­trol­le hat­te, wohl als nächs­tes tun wür­de. Ih­re Bei­ne konn­ten nach­ge­ben, ih­re Au­gen sich mit Trä­nen fül­len, viel­leicht wür­de sie die­sen Mann so­gar schla­gen, wie er so da­stand und ihr sag­te, daß er nicht ihr Va­ter war. Daß al­les stimm­te, was man ihr er­zählt hat­te, und daß Ger­ry Daw­son tot war.
    Er re­de­te im­mer noch und ver­such­te of­fen­bar, freund­lich zu sein. „... tut mir leid, daß Sie die­se wei­te Rei­se ge­macht ha­ben. Neh­men Sie es sich nicht so zu Her­zen ... Je­der von uns hät­te die­sen Feh­ler ge­macht... im­mer­hin...“
    Sie hat­te einen Kloß im Hals, der weh tat, und sein Ge­sicht be­gann vor ih­ren Au­gen zu ver­schwim­men, als ver­sin­ke es in ei­nem Teich. Nach­dem ihr die gan­ze Zeit zu warm ge­we­sen war, wur­de ihr plötz­lich eis­kalt. Er schi­en aus wei­ter Fer­ne zu kom­men, als er frag­te: „Ist al­les in Ord­nung?“, und sie merk­te vol­ler Scham, daß sie we­der in Ohn­macht fal­len noch auf ihn ein­schla­gen, son­dern schlicht und ein­fach wie ein klei­nes Kind in Trä­nen aus­bre­chen wür­de.

6
     
     
     
     
     

    S ie ha­ben nicht zu­fäl­lig ein Ta­schen­tuch da­bei?“ frag­te Se­li­na. Das hat­te er nicht, doch er hol­te einen großen Kleenex-Kar­ton und drück­te ihn ihr in die Hand. Sie zog ein Pa­pier­tuch her­aus, putz­te sich die Na­se und sag­te: „Ich glau­be nicht, daß ich sie al­le brau­chen wer­de.“
    „Da wä­re ich mir nicht so si­cher.“
    „Es tut mir leid. Ich woll­te das nicht. Wei­nen, mei­ne ich.“
    „Na­tür­lich nicht.“
    Sie zog ein wei­te­res Pa­pier­tuch her­aus und putz­te sich noch ein­mal die Na­se. „Ich hat­te so lan­ge auf die­sen Mo­ment ge­war­tet. Und es war auf ein­mal so kalt.“
    „Es ist küh­ler ge­wor­den. Die Son­ne ist un­ter­ge­gan­gen. Es hat wie­der ei­ne Sturm­war­nung ge­ge­ben. Kom­men Sie, set­zen Sie sich hin.“
    Er nahm ih­ren Arm und führ­te sie zu der ge­wal­ti­gen Couch. Da sie im­mer noch zit­ter­te, leg­te er ihr die rot­wei­ße De­cke über die Knie. „Ich wer­de Ih­nen einen Bran­dy brin­gen“, sag­te er. Se­li­na er­wi­der­te, sie mö­ge kei­nen Bran­dy, doch er ging nicht dar­auf ein. Sie be­ob­ach­te­te ihn, wie er hin­ter der The­ke sei­ner klei­nen Kü­che ein Glas und ei­ne Fla­sche her­vor­hol­te und ihr einen Drink ein­schenk­te.
    Als er da­mit zu ihr zu­rück­kam, sag­te sie: „Ich muß un­be­dingt erst mal et­was es­sen.“
    „Trin­ken Sie das trotz­dem.“
    Das Glas war klein und dick und der Bran­dy oh­ne Eis oder Was­ser. Se­li­na schüt­tel­te sich. Als sie aus­ge­trun­ken hat­te, nahm Ge­or­ge das lee­re Glas und ging zum Ka­min, wo er die Glut schür­te und ein Stück Treib­holz nach­leg­te. Die Asche wir­bel­te auf und senk­te sich wie­der, wo­bei sie das fri­sche Stück Holz mit grau­em Staub be­deck­te. Wäh­rend Se­li­na noch zu­sah, glüh­te ei­ne klei­ne ro­te Flam­me auf.
    „Sie brau­chen nicht ein­mal einen Bla­se­balg. Es brennt be­reits“, sag­te sie.
    „Man weiß hier, wie ein gu­tes Feu­er ge­macht wird. Was möch­ten Sie es­sen?“
    „Ist mir egal.“
    „Sup­pe? Brot und But­ter? Kal­tes Fleisch? Obst?“
    „Ha­ben Sie et­was Sup­pe da?“
    „Ei­ne Do­se...“
    „Ist Ih­nen das auch nicht un­an­ge­nehm?“
    „We­ni­ger un­an­ge­nehm, als wenn Sie in Trä­nen auf­ge­löst hier sit­zen.“
    „Ich ha­be nicht mit Ab­sicht ge­weint“, er­wi­der­te Se­li­na ver­letzt.
    Als die Sup­pe auf dem Herd stand, kam Ge­or­ge aus der Kü­che und setz­te sich auf die Ka­min­soh­le. „Wo woh­nen Sie?“ frag­te er, nahm sich ei­ne Zi­ga­ret­te und zün­de­te sie mit ei­nem Stück Holz aus dem Ka­min an.
    „In Lon­don.“
    „Mit Ih­rer Groß­mut­ter?“
    „Mei­ne Groß­mut­ter lebt nicht mehr.“
    „Sie woh­nen doch nicht al­lein?“
    „Nein. Da ist noch Agnes.“
    „Wer ist Agnes?“
    „Mein Kin­der­mäd­chen“, er­wi­der­te Se­li­na und hät­te sich am liebs­ten auf die Zun­ge ge­bis­sen. „Ich mei­ne, sie war frü­her mein Kin­der­mäd­chen.“ „Gibt es da sonst nie­man­den?“
    „Doch. Da ist noch

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