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Schlafender Tiger. Großdruck.

Schlafender Tiger. Großdruck.

Titel: Schlafender Tiger. Großdruck. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Übung ver­riet, aus dem rand­vol­len Ei­mer et­was in sein Glas, oh­ne auch nur einen Trop­fen zu ver­schüt­ten.
    „Wol­len Sie auch einen Drink?“ frag­te er.
    „Nein dan­ke.“
    Er trank einen Schluck, dann sah er sie an. Sie wa­ren bei­de so naß, als wä­ren sie in ei­ne Ba­de­wan­ne ge­fal­len. Se­li­na hat­te ih­re rui­nier­ten Schu­he aus­ge­zo­gen und stand jetzt in ei­ner Pfüt­ze, die im­mer grö­ßer wur­de, wäh­rend es von ih­rem Klei­der­saum tropf­te und ihr Haar an ih­rem Ge­sicht und Hals kleb­te. Naß zu sein schi­en Ge­or­ge Dyer nicht halb so­viel aus­zu­ma­chen wie ihr. „Ich neh­me an, Sie sind an sol­che Din­ge ge­wöhnt“, sag­te sie und ver­such­te ih­ren Klei­der­saum aus­zu­wrin­gen. „Da­bei war das al­les gar nicht nö­tig. Wir hät­ten uns sehr gut un­ter­stel­len kön­nen, bis das Un­wet­ter vor­bei ist. Ro­dol­fo hät­te uns be­stimmt...“
    Er stell­te das Glas ge­räusch­voll ab, ging durch das Zim­mer und stieg, im­mer zwei Stu­fen auf ein­mal neh­mend, die Lei­ter hin­auf.
    „Hier“, sag­te er und warf einen Py­ja­ma hin­un­ter. „Und hier.“ Es folg­te ein Frot­tee­ba­de­man­tel. Das Ge­räusch ei­ner Schub­la­de, die auf- und wie­der zu­ge­zo­gen wur­de, war zu hö­ren. „Und hier.“ Ein Hand­tuch. Er stand auf der Ga­le­rie, die Hän­de auf die Brüs­tung ge­stützt, und sah auf sie her­ab. „Be­nut­zen Sie das Ba­de­zim­mer. Zie­hen Sie sich das da aus, trock­nen Sie sich ab und zie­hen Sie sich um.“
    Se­li­na hob die Sa­chen auf. Als sie die Ba­de­zim­mer­tür öff­ne­te, ka­men ein nas­ses Hemd und ei­ne nas­se Ho­se über die Brüs­tung ge­flo­gen. Schnell ging sie ins Ba­de­zim­mer und schloß die Tür hin­ter sich ab.
    Als sie in den viel zu großen Sa­chen, ihr Haar in ein tro­cke­nes Hand­tuch ge­wi­ckelt, aus dem Ba­de­zim­mer kam, wirk­te der Raum voll­kom­men ver­än­dert.
    Im Ka­min brann­te wie­der ein Feu­er, und drei oder vier Ker­zen, die in al­ten Wein­fla­schen steck­ten, ver­brei­te­ten an­hei­meln­des Licht. Aus dem Kof­fer­ra­dio er­klang Fla­men­co­mu­sik. Ge­or­ge Dyer hat­te sich nicht nur um­ge­zo­gen, son­dern auch ra­siert. Er trug ein wei­ßes Po­lo­hemd, dun­kelblaue Ho­sen und Schu­he aus Na­tur­wild­le­der. Er saß auf der Ka­min­soh­le mit dem Rücken zum Feu­er, las ei­ne eng­li­sche Zei­tung und sah so ent­spannt aus wie ein Gent­le­man auf sei­nem Land­sitz. Als Se­li­na her­ein­kam, blick­te er auf.
    „Nun, da sind Sie ja.“
    „Was soll ich mit all den nas­sen Sa­chen ma­chen?“ frag­te Se­li­na.
    „Wer­fen Sie sie auf den Ba­de­zim­mer­bo­den. Jua­ni­ta kann sich mor­gen früh dar­um küm­mern.“
    „Wer ist Jua­ni­ta?“
    „Mei­ne Haus­häl­te­rin. Ma­ri­as Schwes­ter. Wis­sen Sie, wer Ma­ria ist? Sie hat den Le­bens­mit­tel­la­den im Dorf.“
    „Die Mut­ter von To­meu.“
    „Dann ha­ben Sie To­meu al­so schon ken­nen­ge­lernt.“
    „Er hat uns heu­te hier­her­ge­bracht. Er ist mit dem Fahr­rad vor­aus­ge­fah­ren.“
    „To­meu hat mir ein Huhn in sei­nem großen Korb mit­ge­bracht. Es ist jetzt im Ofen. Kom­men Sie, set­zen Sie sich ans Feu­er und wär­men Sie sich. Ich wer­de Ih­nen et­was zu trin­ken ma­chen.“
    „Ich möch­te nichts trin­ken.“
    „Trin­ken Sie nie et­was?“
    „Mei­ne Groß­mut­ter moch­te das nicht.“
    „Ih­re Groß­mut­ter klingt, ent­schul­di­gen Sie den Aus­druck, wie ei­ne al­te He­xe.“
    Ge­gen ih­ren Wil­len muß­te Se­li­na lä­cheln. „Das war sie nicht.“
    Er war über­rascht von ih­rem Lä­cheln. Oh­ne den Blick von ihr zu neh­men, frag­te er: „In wel­chem Teil Lon­d­ons woh­nen Sie?“
    „In Queen's Ga­te.“
    „Queen's Ga­te, S. W. 7. Ei­ne sehr hüb­sche Ge­gend. Ich neh­me an, Ihr Kin­der­mäd­chen ist im­mer mit Ih­nen in den Ken­sing­ton Gar­dens spa­zie­ren­ge­gan­gen?“
    „Ja.“
    „Ha­ben Sie Ge­schwis­ter?“
    „Nein.“
    „On­kel oder Tan­ten?“
    „Nein. Nie­man­den.“
    „Kein Wun­der, daß Sie so ver­zwei­felt einen Va­ter brauch­ten.“
    „Ich brauch­te nicht ver­zwei­felt einen, ich wünsch­te mir einen.“
    Ge­or­ge schwenk­te sein Glas und be­ob­ach­te­te, wie die gol­de­ne Flüs­sig­keit

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