Schlafender Tiger. Großdruck.
Wasser bewegte sich kaum. Während der Bug des Dinghis leise gegen die winzigen Wellen klatschte, bewegte sich die Yacht sanft auf und ab, als atmete sie.
Eingelullt durch die vertraute Umgebung, die vertrauten Gerüche und Geräusche, fühlte George, wie er sich entspannte. Jetzt war er in der Lage, dem Tag, der vor ihm lag, ins Auge zu blicken und über die anstehenden Probleme nachzudenken.
Da war erst einmal Rodolfo. Der Streit war nicht das Schlimmste, es war nicht der erste gewesen, und es würde auch nicht der letzte sein. Aber Rodolfo war kein reicher Mann und mußte die sechshundert Peseten so schnell wie möglich zurückbekommen. George konnte es nicht riskieren zu warten, bis die Bank in Barcelona ihm endlich sein Geld auszahlte. Es hatte früher schon Verzögerungen gegeben, und einmal hatte es sogar fast einen ganzen Monat gedauert, bis sein Geld da war. Wenn sie jedoch Selinas Bank telegrafierten, konnte das Geld in drei oder vier Tagen in San Antonio sein, und Rodolfo würde Selina nur allzugerne in seinem Hotel aufnehmen, sobald er davon erfuhr. Auf diese Weise würden die Konventionen eingehalten, und niemandes Gefühle würden verletzt - was in Cala Fuerte sehr schnell passieren konnte.
Andererseits war da noch Frances. Frances würde ihm sofort sechshundert Peseten und das Geld für Selinas Rückflug leihen, wenn er sich nur dazu aufraffen könnte, sie darum zu bitten. Aber für Frances sprach Geld eine eigene Sprache. Wenn er sich in ihre Schuld begab, würde er es nicht für Rodolfo tun und auch nicht für ein Mädchen, das auf der Suche nach seinem Vater auf die Insel gekommen war, sondern ganz und gar auf eigene Kosten, denn er war der einzige, der diese Schuld begleichen konnte.
Eine Bewegung vor der Casa Barco weckte seine Aufmerksamkeit, und er sah, wie Juanita auf der Terrasse die rotweiße Decke vom Sofa zum Lüften auf die Leine hängte. Sie trug ein rosafarbenes Kleid mit einer Schürze. Jetzt ging sie ins Haus zurück, kam gleich darauf mit einem Besen in der Hand wieder auf die Terrasse und begann die Scherben der zerbrochenen Blumentöpfe zusammenzukehren.
George fragte sich, wie er die schlafende Selina in seinem Bett erklären sollte. Er hatte immer peinlich darauf geachtet, eine solche Situation zu vermeiden, deshalb hatte er keine Ahnung, wie Juanita darauf reagieren würde. Ihm gefiel der Gedanke nicht, sie zu hintergehen, andererseits wollte er sie auf keinen Fall verlieren. Er konnte ihr die Wahrheit sagen, aber die war so weither geholt, daß er bezweifelte, daß Juanita mit ihrem schlichten Gemüt ihm glauben würde. Er konnte ihr natürlich auch erzählen, Selina wäre eine Cousine, die ihn besuchte und wegen des Sturms bei ihm hatte übernachten müssen. Nach einiger Überlegung kam er zu dem Schluß, daß diese Version die beste war, außerdem hatte sie den Vorteil, fast wahr zu sein. Er warf die Zigarette über Bord, stieg in das Dinghi und ruderte langsam zur Casa Barco zurück.
Juanita war in der Küche, wo sie Wasser für seinen Kaffee kochte.
„Buenos dias, Juanita.“
Sie drehte sich um und lächelte strahlend. „Buenos dias, Señor.“
Er beschloß, sofort zur Sache zu kommen. „Ist die Señorita aufgewacht, als Sie Wasser aus dem Brunnen geholt haben?“
„Nein, Señor , sie schläft wie ein Baby.“
George beobachtete Juanita aufmerksam. Ihre Stimme klang weich, und ihre Augen glänzten. Das war eigentlich nicht die Reaktion, die er erwartet hatte. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, seine Geschichte von der Cousine auf Besuch loszuwerden, und trotzdem sah Juanita bereits ganz gerührt aus. Weshalb?
„Sie... waren also schon bei ihr
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