Schlafender Tiger. Großdruck.
oben?“
„Si, Señor, ich habe nachgesehen, ob sie schon aufgewacht ist. Aber“, und hier wurde ihre Stimme leicht vorwurfsvoll, „warum haben Sie mir denn nie gesagt, daß Sie eine Tochter haben?“
George griff nach der Sofalehne hinter sich und setzte sich hin. „Das habe ich nicht?“ fragte er verwirrt.
„Nein, Sie haben Ihre Tochter mit keinem Wort erwähnt. Und als Maria mir heute morgen, als ich in Cala Fuerte war, erzählt hat, daß die Tochter von Señor in der Casa Barco ist, wollte ich es zuerst nicht glauben. Aber es stimmt.“
George schluckte. „Maria hat es Ihnen also erzählt“, sagte er. „Und wer hat es Maria erzählt?“
„Tomeu.“
„Tomeu?“
„Si, Señor. Da war ein Taxifahrer, der sie hergefahren hat. Er hat viele Stunden in Rodolfos Bar gewartet, und er hat Rosita, die dort arbeitet, erzählt, daß er die Tochter von Señor Dyer zur Casa Barco gebracht hat. Rosita hat es Tomeu erzählt, als sie Waschpulver gekauft hat, und Tomeu hat es Maria erzählt, und Maria hat es Juanita erzählt.“
„Und dem gesamten Dorf, wette ich“, murmelte George auf englisch und verfluchte Selina im stillen.
„Señor?“
„Schon gut, Juanita.“
„Freuen Sie sich nicht, Ihre Tochter hier zu haben?“
„Doch, natürlich.“
„Ich wußte nicht, daß Señor verheiratet war.“
George überlegte einen Moment, dann sagte er: „Ihre Mutter ist tot.“
Juanita war entsetzt. „ Señor , ich hatte ja keine Ahnung. Und wer hat sich um die Señorita gekümmert?“
„Ihre Großmutter“, erwiderte George und fragte sich im Stillen, wann er ihr endlich die Wahrheit würde erzählen müssen. „Sagen Sie, Juanita... Weiß Rodolfo, daß... die Señorita meine Tochter ist?“
„Ich habe Rodolfo heute noch nicht gesehen, Señor .“
Das Wasser kochte, und sie goß es in die Steingutkanne, die George, wie sie wußte, nur für Kaffee benutzte. Es duftete köstlich, doch davon wurde Georges Stimmung auch nicht besser. Juanita legte den Deckel auf die Kanne und sagte: „ Señor , sie ist sehr schön.“
„Schön?“ wiederholte er erstaunt.
„Aber natürlich ist sie schön.“ Juanita trug sein Frühstückstablett auf die Terrasse. „Der Señor braucht mir nichts vorzumachen.“
Er aß sein Frühstück, das aus einer Orange, einer süßen Ensaimada und dem Kaffee bestand. Aus dem Haus waren leise Geräusche zu hören, die anzeigten, daß Juanita saubermachte. Schließlich kam sie mit dem vollen Wäschekorb unter dem Arm auf die Terrasse.
„Die Señorita ist gestern abend in dem Sturm ganz naß geworden“, sagte er, „und ich habe ihr gesagt, sie soll ihre Sachen auf den Badezimmerboden legen.“
„Si, Señor, ich habe sie schon gefunden.“
„Bring sie so schnell wie möglich wieder in Ordnung, Juanita. Sie hat sonst nichts zum Anziehen dabei.“
„Si, Señor.“
Sie ging an ihm vorbei die Treppe hinunter zu ihrer winzigen Waschküche, wo sie Wasser in einem großen Zuber kochte, unbefangen Laken, Strümpfe und Hemden schrubbte und dazu ein Stück Seife benutzte, das so groß war wie ein Ziegelstein.
Als erstes mußte er mit Rodolfo reden. Im Haus warf George einen Blick zur Galerie hoch, aber dort rührte sich weder etwas, noch war ein Laut zu hören. Insgeheim verfluchte er seine Besucherin, doch er ließ sie schlafen und ging hinaus. Da er keine Lust hatte, die Garagentüren aufzumachen und den Wagen anzulassen, machte er sich zu Fuß auf den Weg ins Dorf.
Das sollte er bald bereuen, denn noch bevor er das Cala Fuerte-Hotel erreicht hatte, hatten ihm bereits sieben Leute dazu gratuliert, daß er seine Tochter bei sich zu Besuch hatte. Nach jeder Begegnung ging George etwas schneller, als hätte er etwas äußerst Dringendes zu erledigen, und gab sich den
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