Schlafender Tiger. Großdruck.
schüttelte sie, und als sie die Augen öffnete, saß George Dyer auf dem Bettrand. „Zeit aufzustehen“, wiederholte er.
„Hmmm?“ Die Katze lag noch an ihrem Platz, angenehm warm und schwer. Selina zwang sich, die Augen offenzuhalten, und sah einen wütenden George in einem blauen Baumwollhemd auf sie herunterstarren. Ihr Mut sank. Die ersten Minuten nach dem Aufwachen waren nicht ihre beste Zeit.
„Es ist Zeit, daß Sie aufstehen.“
„Wie spät ist es?“
„Ich sagte es bereits. Fast elf. Ich muß mit Ihnen reden.“
„Oh.“ Sie setzte sich auf und suchte nach den Kissen, die verschwunden waren. George bückte sich, um sie vom Boden aufzuheben, und stopfte sie ihr in den Rücken. „Also, hören Sie zu“, sagte er. „Ich war bei Rodolfo...“
„Ist er noch böse?“
„Nein, das ist er nicht. Nicht mehr. Verstehen Sie, Rodolfo, und somit das gesamte Dorf, glaubt, daß Sie wirklich meine Tochter sind. Sie wissen, warum alle das glauben, nicht wahr? Weil Ihr betrunkener Taxifahrer, der Teufel soll ihn holen, es ihnen erzählt hat.“
„Oh“, sagte Selina.
„Ja, oh! Haben Sie dem Taxifahrer erzählt, ich wäre Ihr Vater?“
„Ja“, gab sie zu.
„Warum, um Himmels willen?“
„Das mußte ich, damit er mich hierherbringt. Ich habe gesagt, mein Vater werde ihm das Fahrgeld bezahlen, weil es das einzige war, womit ich ihn überzeugen konnte.“
„Dazu hatten Sie kein Recht. Unschuldige Menschen mit hineinzuziehen ...“
„Zum Beispiel Sie?“
„Ja, mich. Jetzt stecke ich bis zum Hals in der Sache.“
„Ich hätte nie gedacht, daß er allen Leuten im Dorf davon erzählen würde.“
„Das hat er auch nicht. Er hat es Rosita erzählt, dem Mädchen, das in Rodolfos Bar arbeitet. Und Rosita hat es Tomeu erzählt. Und Tomeu seiner Mutter. Und Maria ist die offizielle Empfangs- und Übertragungsstation auf diesem Teil der Insel.“
„Verstehe“, sagte Selina. „Es tut mir leid. Aber können wir ihnen nicht einfach die Wahrheit sagen?“
„Nicht jetzt.“
„Und warum nicht?“
„Weil die Leute hier...“ er wählte seine Worte sorgfältig aus, „einen sehr strengen Moralkodex haben.“
„Warum haben Sie mich dann letzte Nacht hierbehalten?“
„Wegen des Sturms“, erwiderte er aufgebracht. „Wegen des Streits mit Rodolfo. Weil es keine Alternative gab.“
„Und Sie haben gesagt, ich wäre Ihre Tochter?“
„Ich habe es zumindest nicht abgestritten.“
„Sie sind viel zu jung. Das haben wir doch gestern abend festgestellt.“
„Das darf niemand erfahren.“
„Es ist aber nicht wahr.“
„Das war es auch nicht, als Sie es dem Taxifahrer erzählten.“
„Nein, aber das wußte ich da noch nicht.“
„Während ich es weiß, wollen Sie damit sagen? Nun, es tut mir leid, wenn das Ihre moralischen Prinzipien verletzt, aber diese Menschen sind meine Freunde, und ich möchte sie nicht enttäuschen. Nicht daß sie viele Illusionen haben, was mich betrifft, doch zumindest halten sie mich nicht für einen Lügner.“
Sie sah immer noch beunruhigt aus, und so wechselte er das Thema. „Also, und nun zum Geld. Sie sagten, wir könnten Ihrer Bank telegrafieren...“
„Ja.“
„Aber nicht von Cala Fuerte aus. Wir müssen dazu nach San Antonio fahren. Entweder wir schicken das Telegramm direkt an Ihre Bank, oder, der Gedanke kam mir auf dem Heimweg, wir setzen uns mit Ihrem Anwalt in Verbindung...“
„O nein“, wehrte Selina mit solcher Vehemenz ab, dass George überrascht die Augenbrauen hob.
„Warum nicht?“
„Lassen Sie uns einfach der Bank telegrafieren.“
„Aber Ihr Anwalt wäre in der Lage, das Geld viel schneller herzuschicken.“
„Ich möchte Rodney nicht telegrafieren.“
„Mögen Sie ihn nicht?“
„Das ist es nicht. Nur... Also, er hielt die ganze Geschichte
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