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Schlafender Tiger. Großdruck.

Schlafender Tiger. Großdruck.

Titel: Schlafender Tiger. Großdruck. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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an­de­res.“
    „In­wie­fern?“
    Er starr­te sie wü­tend an, merk­te aber, wie sei­ne Wut lang­sam ver­rauch­te. Ei­gent­lich war die Si­tua­ti­on eher ko­misch, und er ent­deck­te ein Fun­keln in Se­li­nas Au­gen, ei­ne ganz neue, un­er­war­te­te Sei­te an ihr. „Ich hät­te nie ge­dacht, daß Sie so ener­gisch sein kön­nen“, sag­te er.
    „Sind Sie des­halb wü­tend?“
    „Nein, na­tür­lich nicht. Ich bin froh, daß Sie ener­gisch sind. Ach, üb­ri­gens...“ Plötz­lich er­in­ner­te er sich dar­an, daß er ih­ren Streich so­gar noch über­trump­fen konn­te. „Ich ha­be Ih­nen et­was mit­ge­bracht.“
    „Wirk­lich?“
    „Ja.“ Er hat­te das Päck­chen ne­ben sei­ne Müt­ze ge­legt und stand auf, um es zu ho­len. „Ich ha­be in San An­to­nio ein Ge­schenk für Sie ge­kauft. Hof­fent­lich ge­fällt es Ih­nen.“
    Sie be­trach­te­te das win­zi­ge Päck­chen miß­trau­isch. „Zum An­zie­hen kann es ja wohl nicht sein.“
    „Ma­chen Sie es auf und se­hen Sie selbst.“ Ge­or­ge griff nach sei­nem Glas.
    Sie kno­te­te sorg­fäl­tig den Bind­fa­den auf. Das Pa­pier fiel her­un­ter, und Se­li­na hielt die zwei Hälf­ten des win­zi­gen ro­sa­far­be­nen Bi­ki­nis in den Hän­den, den er ihr ge­kauft hat­te.
    „Sie wa­ren heu­te mor­gen so auf­ge­bracht dar­über, daß Sie nichts zum An­zie­hen hat­ten“, sag­te er ernst. „Ich hof­fe nur, die Far­be steht Ih­nen.“
    Se­li­na fehl­ten die Wor­te. Der Bi­ki­ni war ge­ra­de­zu scho­ckie­rend win­zig. Und daß Ge­or­ge Dyer ihn ihr ge­schenkt hat­te, war so pein­lich, daß es ihr die Spra­che ver­schlug. Er dach­te doch nicht im Ernst, daß sie so et­was je­mals tra­gen wür­de?
    „Dan­ke“, brach­te sie müh­sam her­vor, rot bis un­ter die Haar­wur­zeln.
    Er fing an zu la­chen. Sie blick­te stirn­run­zelnd zu ihm hoch, und er sag­te freund­lich: „Hat Sie noch nie je­mand gen­eckt?“
    Se­li­na fühl­te sich wie ein Idi­ot. Sie schüt­tel­te den Kopf.
    „Nicht ein­mal Ihr Kin­der­mäd­chen?“ Er ver­stell­te sei­ne Stim­me, und plötz­lich war es nicht mehr pein­lich, son­dern nur noch ko­misch.
    „Ach, sei­en Sie still“, gab Se­li­na zu­rück, aber sei­ne gu­te Lau­ne war so an­ste­ckend wie die Ma­sern.
    „Hö­ren Sie nicht auf zu lä­cheln“, sag­te Ge­or­ge. „Sie soll­ten im­mer lä­cheln. Sie sind näm­lich sehr hübsch, wenn Sie lä­cheln.“

9
     
     
     
     
     

    U m halb sie­ben am nächs­ten Mor­gen öff­ne­te Ge­or­ge Dyer Jua­ni­ta die Tür. Wie ge­wöhn­lich saß sie an der Haus­wand, die Hän­de im Schoß und einen Korb zu ih­ren Fü­ßen. Der Korb war mit ei­nem wei­ßen Tuch be­deckt, und Jua­ni­ta lä­chel­te stolz, als sie ihn ins Haus trug.
    „Was ha­ben Sie denn da, Jua­ni­ta?“ frag­te Ge­or­ge.
    „Das ist ein Ge­schenk für die Seño­ri­ta. Ein paar Oran­gen, frisch ge­pflückt, von Ma­ria.“
    „Dan­ke. Das ist wirk­lich sehr nett.“
    „Schläft die Seño­ri­ta noch?“
    „Ich glau­be, ja. Ich hab noch nicht nach­ge­se­hen.“
    Wäh­rend Jua­ni­ta Was­ser aus dem Brun­nen hol­te, um Kaf­fee zu ko­chen, öff­ne­te Ge­or­ge die Fens­ter­lä­den und ließ das Licht her­ein. Als er auf die Ter­ras­se trat, fühl­te er, wie kühl der Stein­fuß­bo­den noch war. Die Eclip­se lag ru­hig da, der Mast zeich­ne­te sich deut­lich vor den Pi­ni­en am ent­fern­ten Ufer ab. Er be­schloß, viel­leicht heu­te die neue Schiffs­schrau­be zum Boot zu brin­gen. Sonst gab es nichts für ihn zu tun. Er konn­te mit die­sem wun­der­bar un­ver­plan­ten Tag ma­chen, was er woll­te. Der Him­mel sah bis auf ein paar Wol­ken über San Es­te­ban gut aus, doch der Re­gen sam­mel­te sich im­mer um die Berg­gip­fel her­um, wäh­rend es drau­ßen auf dem Meer klar und wol­ken­los blieb.
    Das Schep­pern des Ei­mers im Brun­nen weck­te Se­li­na. Sie stand auf, ging nach un­ten und trat zu Ge­or­ge auf die Ter­ras­se, noch im­mer in dem Hemd, das er ihr letz­te Nacht ge­borgt hat­te. Ih­re lan­gen schlan­ken Bei­ne wa­ren nicht mehr weiß, son­dern leicht ge­bräunt, und ihr Haar war zu ei­nem lo­cke­ren Kno­ten hoch­ge­bun­den, aus dem sich ein paar Sträh­nen ge­löst hat­ten. Als sie sich ne­ben ihm auf die

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