Schlafender Tiger. Großdruck.
wohnen.“
„Man gewöhnt sich daran. Und wenn man allein segelt, wohnt man sowieso im Cockpit. Deshalb ist die Kajüte so praktisch, man kann während der Fahrt alles, was man braucht, mit einem Griff erreichen. Kommen Sie, gehen wir an Deck zurück.“
Während Selina voranging, öffnete George die Bullaugen. Von der Kajüte aus griff Selina durch die Luke nach dem Picknickkorb, um die Lebensmittel aus der Sonne zu holen.
Die Weinflasche fühlte sich warm an. George band kurzerhand eine Schnur um den schlanken Flaschenhals und hängte die Flasche über Bord. Dann ging er wieder nach unten und kam mit einer der Schaumstoffmatratzen wieder, die auf den Kajütenbetten gelegen hatten.
„Wofür ist die?“ fragte Selina.
George hievte die Matratze auf das Vorderdeck. „Ich dachte, Sie würden gern ein Sonnenbad nehmen.“
„Was werden Sie inzwischen machen? Die Schiffsschraube einbauen?“
„Nein, ich warte, bis das Wasser etwas wärmer geworden ist, oder ich hole mir jemanden, der sie für mich einbaut.“ Er verschwand wieder unter Deck, und Selina nahm ihr Grammatikbuch, kletterte auf das Vorderdeck und legte sich auf die Matratze. Sie öffnete das Buch und las: Substantive sind entweder maskulin oder feminin. Man sollte sie immer mit den bestimmten Artikeln zusammen lernen.
Es war inzwischen sehr warm geworden. Selina ließ den Kopf auf das offene Buch sinken und schloß die Augen. Sie hörte das leise Plätschern der Wellen, roch den würzigen Pinienduft und spürte die angenehme Wärme auf ihrer Haut. Genüßlich streckte sie die Arme aus, und der Rest der Welt verschwand, es gab nur noch die weiße Yacht, die in einer blauen Bucht vor Anker lag, und George Dyer, der sich unten in der Kajüte zu schaffen machte und ab und zu fluchte, wenn ihm etwas herunterfiel.
Irgendwann öffnete sie die Augen und hob den Kopf. „George?“
„Hmmm?“ Er saß mit bloßem Oberkörper im Cockpit, rauchte eine Zigarette und war damit beschäftigt, ein Tau ordentlich aufzuschießen.
„Ich weiß jetzt über maskulin und feminin Bescheid.“
„Nun, das ist ein guter Anfang.“
„Ich dachte, ich gehe vielleicht schwimmen.“
„Dann tun Sie es doch.“
Sie setzte sich auf und strich ihr Haar zurück. „Wird es sehr kalt sein?“
„Nach Frinton kann nichts mehr kalt sein.“
„Woher wissen Sie, daß ich früher in Frinton war?“
„Das hat mir mein Instinkt gesagt. Ich sehe Sie, wie Sie den Sommer mit Ihrem Kindermädchen dort verbringen, zitternd und blau vor Kälte.“
„Sie haben tatsächlich recht. Da gab es Steine am Strand, und ich hatte immer einen riesigen Pullover über meinem Badeanzug an. Agnes haßte Frinton genauso wie ich. Der Himmel weiß, warum man uns dorthin schickte.“ Sie stand auf und begann ihr Hemd aufzuknöpfen.
„Das Wasser ist hier sehr tief“, sagte George. „Sie können doch schwimmen?“
„Natürlich kann ich schwimmen.“
„Ich werde die Harpune bereithalten, falls menschenfressende Haie vorbeikommen.“
„Sehr witzig!“ Sie zog ihr Hemd aus. Darunter trug sie den Bikini, den er ihr mitgebracht hatte.
„Du lieber Gott!“ rief George aus. Es hatte ein Scherz sein sollen; niemals hatte er gedacht, daß sie den Mut haben würde, den Bikini tatsächlich anzuziehen. Jetzt hatte er das deutliche Gefühl, der Schuß sei nach hinten losgegangen und er derjenige, der die Sahnetorte ins Gesicht bekommen hatte. Wieder traf ihn das Wort „Unschuld“ wie ein Schlag, und er dachte unfairerweise an Frances mit ihrem wettergegerbten, braungebrannten Körper und den gewagten Bikinis, die an ihr nur vulgär aussehen konnten.
Er war sich nicht sicher, ob Selina ihn gehört hatte, denn im gleichen Moment sprang sie ins Meer, und er beobachtete, wie sie elegant
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