Schlafender Tiger. Großdruck.
abzeichneten wie ein mikroskopisches Bild. Ein Bild von ihm selbst, einzigartig und nur zu George Dyer gehörig, genauso wie das Leben, das er geführt hatte, und alles, was er gerade tat, einzigartig waren.
Er war nicht besonders stolz auf sich. Er hatte über die Jahre zu viele Menschen gekränkt und verletzt, und die gestrige Nacht war der Höhepunkt gewesen, er wagte nicht einmal, daran zu denken. Trotzdem konnte nichts von allem das Hochgefühl seiner ureigenen Persönlichkeit zerstören, das ihn in diesem Augenblick erfüllte.
I've grown accustomed to her face.
Die Platte war zu Ende. Er ging nach drinnen, um sie abzunehmen.
„Juanita!“
Sie füllte gerade Kaffeepulver in seine Kanne. „Señor?“
„Juanita, wußten Sie, daß Pepe, Marias Mann, die Señorita gestern nachmittag zum Flughafen gefahren hat?“
„Si, Señor“, erwiderte Juanita, sah ihn jedoch nicht an.
„Hat er Ihnen auch gesagt, daß er die Señorita wieder zurückgebracht hat?“
„Si, Señor. Das ganze Dorf weiß es.“
Natürlich. George seufzte, fuhr jedoch mit seiner Befragung fort: „Und hat Pepe erzählt, daß die Señorita ihren Paß verloren hat?“
„Er wußte nicht, daß sie ihn verloren hat. Nur daß sie ihn nicht mehr hatte.“
„Aber sie hat es der Guardia Civil am Flughafen erzählt?“
„Das weiß ich nicht, Señor .“ Sie goß kochendes Wasser in die Kanne.
„Juanita...“ Er legte ihr die Hand auf den Arm. Sie wandte sich um, und zu seinem Erstaunen sah er, daß sie über ihn lachte. Sie schien sich köstlich zu amüsieren. „Juanita... Die Señorita ist nicht meine Tochter.“
„Nein, Señor “, sagte Juanita ernst.
„Erzählen Sie mir nicht, daß Sie das schon wußten.“
„ Señor “, sie zuckte mit den Schultern, „Pepe hatte nicht das Gefühl, daß sie sich wie Ihre Tochter benimmt.“
„Wie hat sie sich denn benommen?“
„Sie war sehr unglücklich, Señor .“
„Juanita, sie ist nicht meine Tochter, sondern meine kleine Cousine.“
„Ja, Señor .“
„Werden Sie das Maria sagen? Und sagen Sie Maria, sie soll es Tomeu erzählen, und vielleicht wird Tomeu es Rosita erzählen, und Rosita wird es Rodolfo erzählen...“ Sie lachten beide. „Ich habe nicht gelogen, Juanita. Aber ich habe auch nicht die Wahrheit gesagt.“
„Der Señor braucht sich keine Sorgen zu machen. Ob sie seine Tochter oder seine Cousine ist...“ Juanita zuckte bedeutsam mit den Schultern, als wäre diese Frage zu belanglos, um auch nur darüber nachzudenken. „Aber für Cala Fuerte ist der Señor ein Freund. Nichts anderes zählt.“
Solche Beredsamkeit sah Juanita gar nicht ähnlich, und George war so gerührt, daß er sie hätte küssen können. Weil er wußte, daß sie das beide in Verlegenheit gebracht hätte, sagte er statt dessen, er sei hungrig und öffnete den Brotkasten, um sich eine Scheibe mit Butter und Aprikosenmarmelade zum Frühstück zu machen.
Wie gewöhnlich war der Brotkasten voll. Frisches Brot war auf das alte gelegt worden, und George deutete vorwurfsvoll auf die Unordnung. „Juanita, sehen Sie nur, wie schmutzig das ist. Das untere Brot hat einen blauen Bart.“ Um ihr zu zeigen, daß er recht hatte, drehte er den Kasten um und schüttete das ganze Brot auf den Fußboden. Das letzte schimmelige Stück fiel heraus, dann das weiße Papier, mit dem Juanita den Kasten ausgelegt hatte, und als letztes ein dünnes dunkelblaues Büchlein.
Es lag auf dem Boden zwischen ihnen. Sie sahen einander fragend an.
„Was ist denn das?“ fragte Juanita schließlich.
George hob es auf und drehte es um. „Es ist ein britischer Paß.“
„Aber wem gehört er?“
„Ich denke, der Señorita .“
Die Idee war, nicht mit dem Anfang der Reise zu beginnen, sondern in der
Weitere Kostenlose Bücher